Super-Kampagne, Dr. Gay

«Super, wie du bist»

Zu dick, zu doof, zu haarig, zu tuntig: Viele Queers haben das Gefühl, nicht gut genug zu sein, sind unzufrieden mit sich und ihrem Körper. Verstärkt wird dies durch den Druck innerhalb der Szene, die dem Idealbild des gut bestückten, muskulösen weissen Adonis nachhechelt. 

Die «Super»-Kampagne von Dr. Gay versucht, Balsam auf die Wunden von Schwulen zu streichen: indem sie dazu ermuntert, einander Komplimente zu machen. Wieviel bringt das – reicht es, um dem rauen Klima etwas Wärme einzuhauchen? 

«Du riechst sooo gut. Dein Lächeln ist so cute. Unglaublich, wie charmant du bist. Super, wie du bist»: Solche Komplimente hören die meisten gerne. Vor allem, wenn sie von Herzen kommen und ehrlich gemeint sind (siehe Box am Ende des Artikels). 

Dr. Gay ermuntert uns dazu, anderen Schwulen, Bisexuellen und Transmännern solche und ähnliche Komplimente zu machen. Diese Kampagne hat er mit einer Aktion verknüpft, bei der man sich mit verbilligtem Tarif auf HIV und andere übertragbare Infektionen testen lassen konnte. Die Botschaft wird über Internet, via Plakate und Inserate sowie via Social Media verbreitet.  

Florian Vock leitet sie. Im Interview verrät er, warum Komplimente besonders für Gays so wichtig sind – und ob im neuen Jahr alles rosiger wird: 

DISPLAY: Testen, testen, testen. Das hört man sonst nicht nur wegen Corona, sondern auch von der Aids-Hilfe Schweiz. Kürzlich hat sie Gays aufgefordert, einander schöne Dinge zu sagen. Wie viele Komplimente haben die Welt denn nun verschönert?

Florian Vock: Wie viele es exakt sind, weiss ich nicht. Was ich aber sagen kann: Unsere Werbung auf Social Media hat in den beiden Monaten 165’000 Personen erreicht. Gut jeder Zehnte hat sie angeklickt – hat sich also über die Hintergründe der «Super»-Kampagne schlau gemacht. Das ist ein guter Wert. 

Die zweimonatige Kampagne Ende letzten Jahres war an vergünstigte Tests gekoppelt. Hat das funktioniert?

Fast 3000 Personen haben sich in dieser Zeit testen lassen. So viele wie noch nie! Auch solche, die dies – trotz riskanten Sexualverhaltens – nicht regelmässig machen. Wir haben also Personen über unsere Stammkundschaft hinaus erreicht. Alle Zentren waren ausgelastet. Die Nachfrage überstieg sogar unsere Ressourcen. 

Bilder Aids-Hilfe Schweiz, Andreas Lehner

Inwiefern war die «Super»-Kampagne in euren Testzentren präsent?

Unsere Berater*innen weisen auf den psychischen und seelischen Aspekt von Gesundheit hin – zum Beispiel auf den Wert von Wertschätzung via Komplimente. Zwar können wir das in der Gayszene gängige Schönheitsideal nicht ändern. Doch wir können ein vielfältigeres Bild vermitteln, indem wir sagen: Es ist ein Ideal – dem kaum jemand entspricht. 

Aber alle leiden darunter.

Die meisten sind von diesen Ansprüchen überfordert. Sie haben sie zudem verinnerlicht und werten sich selber ab. Doch jeder Mensch ist liebenswert – erst recht, wenn man ihn mit positivem Blick sieht. Und trotz Idealbild sind die Geschmäcker verschieden.

Ich finde es nicht schön, jemandem zu sagen: «Du bist eine geile Sau und fucking hot. Du bist die beste Bitch.» Solche Komplimente, in denen Abwertung mitschwingt, schlagt ihr vor.

In den Ohren eines anderen sind das Komplimente. Es kommt auf den Typen und auf die Situation an. Darum soll man jenen Ton, jene Worte finden, mit denen klar wird, dass es so gemeint ist: positiv, respektvoll, wertschätzend. 

Zu oft bleibt man stumm, wenn einem etwas an einem anderen Mann gefällt. Obwohl sich dieser über ein ehrliches Kompliment, das keine Absicht verfolgt, ziemlich sicher freut. Und einem selber tut es auch gut, wenn man jemandem etwas Schönes sagt.

Zwei Monate hat die Komplimentekampagne gedauert. Ist das nicht eher ein symbolischer Beitrag?

Ja, ein kleiner Beitrag. Zwei Monate sind eine kurze Zeit. Unsere Kampagne ist ein Beitrag zur Diskussion über unsere Minderheit, die sich manchmal selbst allzu hart be- und abwertet. Die Kampagne ist wie ein Ball, den wir mal ins Spiel hineinkicken – in der Hoffnung, dass ihn Mitplayer aus der Community im neuen Jahr aufnehmen. Wir auf alle Fälle bleiben bei diesem Thema am Ball. In welcher Form das geschieht, ist noch offen.

Die Kandidaten der Sendung «Prince Charming» wurden mit Häme übergossen. Da kommt ein mulmiges Gefühl auf, wenn man ans neue Jahr denkt.

«Prince Charming» ist nicht repräsentativ für die schwule Welt. Es ist ein inszeniertes TV-Format, bei dem Lästern Teil des Spiels ist. Meist ist es nicht böse gemeint. Viele Menschen merken nicht einmal, wenn sie verletzend sind. Nicht selten machen sie dies aus Unsicherheit. 

Und aus Selbstschutz – weil sie selber auch verletzlich sind?

Ja, das sind wir alle. Dies zeigt sich besonders in der Sexualität. Doch je mehr man sich selber mag, desto mehr kann man sich verletzlich zeigen – und Nähe zulassen. Was wiederum das Selbstwertgefühl stärkt. || 


DIE KRAFT DER KOMPLIMENTE
Mit Komplimenten freundschaftliche Beziehungen pflegen und stärken: So kann man den Stress lindern, der durch den Druck in der schwulen Subkultur entsteht. Denn gedatet wird in erster Linie, wer das vermeintlich beste Profil hat. Hier setzt die «Super»-Kampagne von Dr. Gay bzw. der Aids-Hilfe Schweiz an. Erhält man von anderen LGBTQ-Personen Komplimente, lindert dies Stress, führt zu Glückshormonen und guten Gefühlen. Also: Freund*innen und Bekannte wissen lassen, was man an ihnen schätzt. Ein Kompliment machen eben. Das ist zwar altmodisch, aber wohltuend. Infos: drgay.ch/super 


FLORIAN VOCK
Der 30-Jährige arbeitet seit 2019 als Programmleiter bei der Aids-Hilfe Schweiz. Nach seinem Soziologiestudium wirkte er bei der Justizdirektion des Kantons Zürich als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Florian hat sich im Grossen Rat des Kantons Aargau engagiert und ist Mitgründer der Milchjugend.


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