Schwuler jodeln

Nicht im Versteckten bejodeln und besingen sie Kameradschaft und Freundschaft. Nein, hochoffiziell: im ersten schwulen Jodlerklub Männertreu. Er liebäugelt damit, in zwei Jahren am Eidgenössischen in Basel aufzutrumpfen.

 

Von Marcel Friedli-Schwarz

Jodlerwirt. So – passend – heisst die Beiz in Luzern, in der an diesem Samstag ein Mann nach dem anderen eintrudelt. Die einen Mitte zwanzig, viele um die dreissig und vierzig Jahre alt; manche um die siebzig. 

Thomas Bachmann ist Präsident des neuen Jodelklubs Männertreu – der allererste für Gays. Der 47-Jährige kennt alle, die jetzt eintreffen und das eine und andere Gespräch beginnen. Besser: Er kennt sie vom Hören – ist im Vorfeld mit jedem einzelnen auf akustische Tuchfühlung gegangen, hat mit jedem telefoniert und so den ersten Kontakt geknüpft. 

Thomas ist gespannt, wer die Männer hinter den Stimmen sind. Und wie sie tönen und klingen werden – einzeln und im Chor.

Noch vor ein paar Wochen ist nicht klar, ob das wirklich etwas wird: Ob es genug schwule, bisexuelle und trans Männer gibt, die sich dem Jodeln und Singen widmen wollen. Dass es genug davon gibt, zeigt sich jetzt. Offenbar beisst es sich nicht, heimisches Kulturgut zu pflegen und Männer zu lieben. Eine reizvolle Kombination: Schwule und Jodeln – vermeintlich Konservative und Menschen, die gegen den sexuellen Mainstream schwimmen.

«Holleri du Dödel du» 

(Loriot, die Jodelschule)

Dirigent Franz-Markus Stadelmann zeigt, dass man es mit dieser Kombination weit bringen kann. Er ist in der Jodelszene erfolgreich und bestens vernetzt. Es gelingt ihm heute, fünf Männer zum Jodeln zu bewegen: zaghaft am Anfang, nach und nach gewinnen sie an Sicherheit. 

Thomas kann auch jodeln. «Leider mit einem Aber: Meine Stimme ist zu tief, ich singe Bass. Um in einem Klub zu jodeln, wäre eine höhere Stimme gefragt, die Tenorstimme.» Damit hadert er zwar nicht, wie er sagt. Aber er bedauert es. «Zumal ich als Bub mit meinem Vater gejodelt habe. Ich musste das gar nicht lernen. Sondern konnte das. Einfach so. Aber der Stimmbruch hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Nun jodle ich für mich, auch das macht mir Freude.» 

Doch es reicht, wenn in einem Jodlerklub ein paar jutzen – die anderen singen als Begleitung. Singen kann Thomas, er kann in diversen Stimmen aushelfen. Denn er ist geübt: Seit zehn Jahren ist er im Berner Chor der Nationen dabei.


Franz-Markus Stadelmann: So heisst der Dirigent des ersten schwulen Jodlerchors Männertreu. Er hat sich als Sänger, Dirigent und Jurymitglied einen Namen gemacht. Dass er einen Freund hat, ist in der Jodelszene bekannt. Als Sänger hat er diverse Tonträger veröffentlicht. 2019 hat ihn der Zentralschweizerische Jodlerverband zum Ehrenmitglied ernannt.

Der Jodlerklub Männertreu ist als Verein organisiert, dem Mann beitreten kann. Alle Männer sind willkommen: schwul, hetero, bi, trans, non-binär. Der Klub finanziert sich unter anderem über die Beiträge seiner Mitglieder.

Vom Probenrhythmus her unterscheidet sich Männertreu von klassischen Chören: lediglich einmal pro Monat, dafür länger. Dies bedingt, dass Mann die Texte selbständig lernt und die Melodien übt. 

Männerliebende Jodler und Sänger sind für Schnupperproben willkommen: 14. April, 5. Mai. 

Infos: jodlerklub-maennertreu.ch


Sowieso: Die Musik ist sein Leben. Zusätzlich zu seinem Einsatz im genannten Chor spielt Thomas Bachmann Akkordeon im Trio Bachmos. «Ich mag die Bühne. Und mir gefallen alle Arten von Musik. Das Unterteilen in verschiedene Genres ist mir eher fremd – für mich ist alles in erster Linie Musik.» 

Wobei sein Zugang zu Musik alles andere als beliebig ist. «Dauerberieselung mag ich nicht besonders. Wenn ich Musik höre, dann nicht als Hintergrund. Sondern ganz bewusst.»

Routinierte und erfahrene Sänger wie Thomas kann der neue Jodlerchor gebrauchen. Doch auch Thomas wird sich im stillen Kämmerlein, ausserhalb der Proben, mit den Stücken auseinandersetzen müssen: Jodelchöre haben keine Noten vor sich, sondern singen, die Hände in den Hosentaschen, auswendig. Sie besingen Blumen und Berge – und die Kameradschaft, bei einem Glas Wein. Und dass Mann einander beisteht, wenn Rat oder Tat gefragt ist. 

Erfreuliche Überraschung: Grossaufmarsch an der ersten Probe im Restaurant Jodlerwirt in Luzern.

«Ein bisschen klischeebehaftet sind die Texte schon», räumt Thomas ein. «So wird es auch bei uns sein. Doch zusammen mit dem gemeinsamen Singen, mit der Musik, da passt das dann schon – da geht mein Herz so richtig auf.»

Zwar haben die schwulen Jodler vor, auch neuere Lieder zu singen. Doch eine Revolution der Folklore ist nicht geplant: kein Anpassen auf Gay-Tonalität. «Wir werden Lieder singen, wie sie auch von anderen Jodelklubs zu hören sind», sagt Thomas, der seit zwei Jahren mit einem Mann zusammenlebt.

Thomas ist nicht nur ein begnadeter Sänger – er ist auch ein gewiefter Zahlenjongleur: Der gebürtige Luzerner arbeitet als Finanzchef eines Unternehmens. Dieses Know-how bringt er nun auch beim Jodlerklub Männertreu ein.

Zusätzlich zu jenem bei Pink Cross: Dort sorgt er seit zwei Jahren als ehrenamtliches Mitglied des Vorstandes dafür, dass die Rechnung stimmt. «Jeder hat eine Fähigkeit, mit der er sich einbringen kann, bei mir sind‘s die Zahlen. Ich setze mich gern für unsere Community ein.»

Dabei kommt ihm das zugute, was ihn zum idealen Präsidenten des ersten schwulen Jodlerchors macht: Thomas sorgt für eine angenehme Atmosphäre, baut Brücken zwischen den Männern. 

So dass – neben dem fleissigen Üben – auch das Gesellige, Fröhliche seinen Platz hat. So sind quasi alle beim Essen nach der Probe dabei.   

Vorstandstreffen des schwulen Jodelklubs Männertreu, von links: Franz-Markus Stadelmann, Thomas Bachmann, Reto Rüegg und Fabio Truffer.


Ohne Text singen, auf Lautsilben: So geht (einfach gesagt) jodeln. Häufig wird dabei zwischen den Registern gewechselt, zwischen verschiedenen Tonhöhen und Klangfarben – ebenso zwischen Brust- und Falsett-Stimme. 

Gejodelt wird nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Südtirol, in Teilen Österreichs, in Oberbayern. Von Zäuerli und Ruggusseli spricht man im Appenzellerland, wenn man Jodeln meint. In Wien spricht man von Dudler; von Wullaza oder Ludler in der Steiermark.

Nemo: Endlich frei

«I gloube das bisch du». Damit hat Nemo sich mit 18 in die Herzen der Fans gesungen und landete auf Platz 4 der Schweizer Hitparade. Mittlerweile ist Nemo 24, lebt in Berlin, singt Englisch und bezeichnet sich als nicht-binär – eine eigentliche Befreiung. DISPLAY hat Nemo in einem Berliner Café vor dem grossen Abenteuer ESC getroffen.

Interview Josia Jourdan Bilder Ella Mettler