Mit neuer Kraft ins neue Jahr

Kriege in Europa und im Nahen Osten und gerade beschäftigt uns die Energie, die uns bald ausgehen könnte: Eine Krise löst die nächste ab und immer mehr Menschen bleiben erschöpft zurück. 

Oft ist diese Erschöpfung aber nur ein Auslöser, weil wir uns mit eigenen negativen Mustern schon lange selber geschwächt haben. Wer ist reif für Veränderung im Jahr 2024?

Text Mark Baer

Die Krisen der Welt haben zum Teil massive Auswirkungen auf immer mehr Menschen. Studien und Analysen von Psychotherapeut:innen zeigen, dass heute auch Menschen, die bis vor drei Jahren ihren Alltagsstress noch gut bewältigen konnten, immer erschöpfter werden. Weshalb machen uns Corona-, Ukraine- und Klimakrise müde und was lässt sich dagegen tun?

Diese Fragen stellt sich Andreas Salcher in seinem neuen Buch «Die grosse Erschöpfung». Der österreichische Bestseller-Autor benennt die Ursachen und zeigt konkrete Zugänge zu den eigenen Quellen der Kraft.

Nonsens-Flut auf Social Media

«Baumstämme zerbrechen nicht so leicht unter Druck. Menschen schon», sagt der 61-jährige Wiener. Weil seit drei Jahren nach einer Krise die nächste folgt, sieht Salcher immer mehr Menschen, die von Erschöpfung gezeichnet sind. Darunter befinden sich auch solche, die sich bisher als weitgehend immun gegen Krisen empfunden haben und ihren Alltagsstress gut bewältigen konnten.

Die Kumulation der Krisen sei meist der Auslöser, aber nicht die tiefere Ursache für die Erschöpfung, die Menschen heute quer durch alle Schichten lähme. Wie sieht das Rezept des langjährigen Unternehmensberaters aus? Der durchschnittliche Mensch verschwende einen halben Arbeitstag pro Woche mit «Nonsens-News» auf Social Media. Über das Jahr gerechnet sind das immerhin 26 verlorene Tage. Wer sich beklagt, dass ihn Facebook, TikTok und Instagram erschöpfen, sei selber schuld. «Sorry. Erschöpfung ist eine Folge von Entscheidungen, die wir treffen – oder nicht treffen.»

Hilfreiche Rituale

Als die vielleicht wichtigste Kraftquelle bezeichnet Andreas Salcher «ein persönliches Ritual». Neunzig Prozent aller erfolgreichen Menschen würden den Tag mit einem Ritual beginnen und beenden. 

«Die Interviews für mein Buch haben die These bestätigt, dass Rituale ein wirksames Mittel gegen Erschöpfung sind»: in der Früh in Ruhe seinen Kaffee trinken, ein Gedicht lesen, Musik hören und dazu tanzen – und natürlich sei jede Form von Bewegung an frischer Luft empfehlenswert. 

Tägliche Rituale sind offenbar ein entscheidender Unterschied zwischen Menschen, die früh erschöpft sind, und jenen, die sich auch unter grossen Belastungen schneller regenerieren können. «Wichtig ist letztlich, dass das, was wir tun, uns immer Freude bereitet und es keine zusätzliche Pflichterfüllung ist», bringt es der Gründer einer Schule für hochbegabte Kinder auf den Punkt.

Der Autor startet den Tag selber mit rund 25 Minuten Körperübungen und 20 Minuten transzendentaler Meditation, wie er DISPLAY gegenüber verrät. Nach Abschluss der Arbeit meditiere er am Abend jeweils noch einmal 20 Minuten. Mindestens einmal in der Woche gehe er mit Freunden auch einen halben Tag in den Wienerwald wandern.


Andreas Salcher, Unternehmensberater und Bestseller-Autor.
Andreas Salcher:
Die grosse Erschöpfung.
edition a GmbH

Das Ziel: Körper und Geist in Einklang bringen

Natur und Meditation baut auch der Zürcher Stephan Bitterlin in seinen Alltag ein. Der Mister Gay Switzerland 2011 / 2012 ist heute Pilates-, Yoga- und Ballett-Lehrer. Der 53-Jährige arbeitet überdies auch als Tanz- und Bewegungstherapeut und gibt Seminare im Spital Männedorf in der Onkologie-Abteilung zum Thema «Lerne mit Krebs zu leben». 

Pilates und Yoga hat Bitterlin nach einem Tanzunfall für sich entdeckt. «Ich bin heute deshalb körperbewusster, achtsamer, stabiler und ausgeglichener.» 

Der queere Yogi ist der Meinung, dass die meisten Gays heute ins Gym rennen würden, um sich körperlich fit zu halten beziehungsweise sich aufzupumpen. Aber um energetisch Kraft zu finden, gäbe es noch weitere Aktivitäten, wie beispielsweise Wandern oder eben Yoga.

«Generell finde ich, dass wir uns zu wenig bewegen und uns zu wenig mit uns selber beschäftigen», sagt Stephan Bitterlin. 

Uns mehr Zeit für unseren Körper und Geist zu nehmen, bewusster hinzuschauen und uns immer wieder an der wundervollen Vielfalt unseres Planeten zu erfreuen, sei in unruhigen Zeiten ganz wichtig. Um mehr im Inneren zu sein, gelte es einen gesunden Ausgleich zwischen aktiveren und ruhigeren Tätigkeiten zu finden: «Das Ziel ist eine gute Balance zwischen dem Aussen und dem Innen.» 


Der Zürcher Tanz- und Bewegungstherapeut Stephan Bitterlin: «Gays achten heute noch etwas mehr auf sich, aber der Body Cult hat in den letzten Jahren auch bei den ‹Hetis› zugenommen.»

Krankmachende innere Konflikte

Kirstin Doppelhammer ist Coaching- und Mindset-Expertin und hilft Menschen, körperlich und seelisch in die Selbstheilung zu kommen. Unsere Gesundheit hänge einerseits von unserer mentalen Stärke, aber auch von unserer Lebensweise und von verschiedenen inneren und äusseren Faktoren ab, erklärt die Bayerin. Massgeblich sei eine «gesunde Lebensweise mit einer gesunden Ernährung». Dazu gehöre unter Umständen auch die Beigabe von guten Nahrungsergänzungsmitteln. Weiter sagt auch sie, dass Sport und Bewegung eminent wichtig seien. 

Im Trend bei Gays: Energie tanken mit Yoga.

Laut der Hypnose-, Transformations- und Energie-Coachin, die vor allem online praktiziert, sei es auch wichtig, auf ungelöste Konflikte zu achten. Solche könnten ebenso Krankheiten hervorrufen, wie wenn wir irgendwelchen Umwelt- und anderen Gift-Stoffen ausgesetzt sind. «Die Seele macht in Fällen innerer Zerrissenheit irgendwann mit Symptomen auf sich aufmerksam.»

Innere Konflikte, wie beispielsweise Ängste oder negative Glaubenssätze, solle man deshalb nicht mit sich herumtragen. Falls man diese Themen einmal nicht selbst auflösen könne, sei es sinnvoll, sich von aussen Hilfe von einem Coach zu holen. Als Massstab gelte: «So lange mich etwas triggert, steht noch ein Thema im Hintergrund, das aufgelöst werden will.» Erst nach erfolgreicher Eliminierung des Konflikts würde wieder Leichtigkeit ins Leben zurückkehren.

Hinderlich auf unser gesamtes Leben können sich laut Kirstin Doppelhammer auch negative Glaubenssätze auswirken. All das Negative, was wir von uns, unserer Umwelt und der Welt glauben, sei prädestiniert dazu, einen schlechten Impact auf unser Leben zu haben. Das Wichtigste bei körperlichen oder seelischen Beschwerden ist für die Expertin, dass immer die Ursachen herausgefunden werden können. «Die Mitarbeit der Klientin oder des Klienten ist dabei unabdingbar, um auf diesen Ebenen dann in die Selbstheilung zu kommen.»


Kirstin Doppelhammer, Coaching- und Mindset-Expertin: «Um es mit Einstein zu sagen: Wahnsinn ist es, eine Veränderung zu  erwarten, ohne selbst etwas zu verändern.»

Will ich mich überhaupt verändern?

Ins gleiche Horn wie Doppelhammer stösst auch Erhard Wyss. Der Systemische Coach und Therapeut arbeitet im aargauischen Baden und empfiehlt ebenfalls, sich nicht von alten Glaubensmustern und tiefgreifenden Blockaden einschränken zu lassen. Um von gewissen Glaubenssätzen (wie beispielsweise «ich bin es nicht wert» oder «ich bin an allem schuld») wegzukommen, sei die tägliche Arbeit an sich selber extrem wichtig. Um Gedanken, Muster und negative Gefühle loszuwerden, würde sich die Systemische Hypnosetherapie sehr gut eignen. Dabei wird man mithilfe einer Hypnose noch einmal dorthin zurückgeführt, wo der Schmerz sitzt, mit dem Ziel, die Seele zu heilen. 

Ein Coaching hingegen beziehe sich mehr auf die mentale Arbeit, bei der es darum gehe, mithilfe des Kopfes wichtige Veränderungen herbeizuführen. «Das beste Projekt, an dem man jemals arbeitet, ist das Projekt an einem selber», bringt es Wyss auf den Punkt. Veränderungen, die einem im Leben gestellt würden, sollte man dringend angehen, lautet sein Ratschlag. Dass dies meistens kein einfacher Spaziergang ist, weiss der 49-jährige Aargauer. «Am meisten Mut erfordert es, nach Hilfe zu fragen, um sein Leben zu verändern.» 

Der Erfolg sei deshalb auch immer von den Klient:innen abhängig. Es gehe in der ganzen Arbeit darum, wie stark jemand bereit sei, sich zu öffnen. Denn vieles sei eigentlich jeweils leicht umzusetzen. «Aber am Schluss ist es immer eine Frage der Bereitschaft, wie fest sich ein Mensch wirklich verändern will.»   


Erhard Wyss, Systemischer Coach und Therapeut: «Das beste Projekt, an dem man jemals arbeitet, ist das Projekt an einem selber»