Mit langen Nägeln und spitzer Zunge

 

Zwischen Aufklärung, Hass und Make up-Tipps: 
Matt Bernstein über queren Aktivismus auf Social Media.  

Von Christian Gersbacher

Mittlerweile folgen Matt Bernstein mehr als 1,5 Millionen Menschen. Damit gehört er zu den grössten queer-aktivistischen Accounts auf Instagram. Vor mehr als fünf Jahren begann der 25-Jährige, Photos und Schminktipps auf seinem Account zu posten. 

Bekannt wurde er vor allem durch seine langen Fingernägel und als er begann, seine Make-up-Looks mit zum Nachdenken anregenden Botschaften und Slogans zu queeren Themen zu posten. 

Heute geht es weniger um Make-up. Matt postet mehrmals pro Woche gut recherchierte Infografiken zu aktuellen gesellschaftlichen und politischen LGBTQI*-Themen. Dabei scheut er nicht davor zurück, in die Offensive zu gehen, insbesondere, wenn es um kontroverse Äusserungen republikanischer Politiker:innen oder Themen wie Transfeindlichkeit im Sport geht. 

Im Rahmen der Veranstaltungsreihe «Checkpoint im Gespräch» war der in New York lebende Matt Bernstein am Montag, 11. Dezember 2023 im Comedyhaus Zürich zum Thema «Queer Activism on Social Media» zu Gast und erzählte, wie er Social Media als Instrument für queeren Aktivismus und gegen die Stigmatisierung queerer Themen einsetzt und wie er mit Gegenreaktionen und Hass umgeht.

Gleich zu Beginn betont Matt, dass er sich nicht als Aktivist sieht. Seiner Meinung nach sind Aktivisten diejenigen, die Petitionen oder Fundraising-Kampagnen organisieren, was er nicht als seine Hauptaufgabe ansieht. «Ich brauche keinen Titel für meine Arbeit», fügt er hinzu. 

In den letzten fünf Jahren, seit Matt seinen Account auf Instagram gestartet hat, hat sich der inhaltliche Fokus seiner Arbeit stark verändert. Heute investiert er lieber mehr Zeit in ausführliche Posts und Infografiken. Das Internet wird heute von Meinungen überflutet. «Vor allem, seit meine Reichweite grösser geworden ist: Ich mache heute lieber weniger und dafür gut recherchierte Inhalte», sagt er.

An Themen mangelt es ihm nicht. Täglich bekommt er viele Nachrichten von Leuten, die ihm Themen vorschlagen und ihn bitten, etwas dazu zu schreiben. Aber nicht zu jedem Thema, findet er, sollte man den Mund aufmachen. «Gerade wenn man zu wenig Ahnung von Themen hat, ist es manchmal besser, sich aus einer Diskussion herauszuhalten. Dafür gibt es ansonsten X» (vormals Twitter), sagt er lachend. 

Der Umgang mit Hassbotschaften oder Kommentaren ist für Matt ein Dauerthema. Trotz seiner Bemühungen, sie mit Humor zu nehmen, gibt er zu, dass es als sensibler und emotionaler Mensch nicht immer einfach ist. Dies wird besonders deutlich, wenn er darüber nachdenkt, wie viele Menschen lesen und sehen, was er in seinen Beiträgen mitteilt. «Aber ich versuche einfach, nicht daran zu denken», sagt Matt.

Im Nachhinein betrachtet er einige seiner früheren Posts als cringe. Meine Ideen und Meinungen mit 19 waren natürlich nicht so geformt. «Heute bin ich 25. Mit 30 denke ich wahrscheinlich, wie cringe war das, was ich heute mache. Aber Mut dazu, auch mal cringe zu sein, ist sehr wichtig, wenn man etwas auf Social Media machen will», sagt Matt. 

Aufklärung über queere Themen oder sexuelle Gesundheit habe es in seiner Schulzeit kaum gegeben, erzählt Matt. Als er zum ersten Mal im Alter von 18 Jahren PrEP verschrieben bekommen wollte, wusste nicht einmal sein Arzt, was das ist. Mit 15 Jahren hatte er sich bereits als schwul geoutet und alles, was mit PrEP und Aids zu tun hatte, hatte er über Instagram gelernt. In seiner Schule sei nie über die Aids-Krise gesprochen worden. Über Malaria und Gelbfieber wurde geredet, aber bei Aids nur über den Namen, das war’s! «Gerade für junge queere Menschen bieten Social Media die Möglichkeit, sich erstmals online anonym über solche Themen zu informieren. Auch wenn du dich noch nicht geoutet hast, sind soziale Medien oft deine erste Informationsquelle. Umso wichtiger ist es, dass die Informationen gut recherchiert sind», so Matt. 

Man muss nicht viele Leute kennen oder viele Follower haben, um etwas zu erreichen. Oft reicht es schon, sich in seinem direkten privaten Umfeld umzuhören, sagt Matt. Er spricht auch gerne mit Menschen aus der Generation seiner Eltern über queeren Aktivismus. So findet er zum Beispiel auch den 62-jährigen LGBTIQ*-Aktivisten Peter Staley eine spannende Person, der sich in den 80er und 90er Jahren als eines der ersten Mitglieder in der bekannten amerikanischen LGBTQ*-Organisation ACT UP engagierte.

Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen in den USA im kommenden November wird immer deutlicher, wie queere Themen für Machtkämpfe missbraucht werden. 

«Es gibt in den USA so viele Themen wie zum Beispiel den Mindestlohn oder die Klimakrise, die Inflation oder die Arbeitslosigkeit und es ist wirklich krass, dass Trans*-Kinder zum Politikum werden», sagt Matt. 

Man muss sagen, dass die Trans*-Community jetzt genau den Weg geht, den die Gay-Community vor 30 Jahren gehen musste, das sollte man auch als Cis-Mann nicht vergessen, findet Matt. Immer wieder wird von der Bedrohung der Kinder gesprochen. Früher war es das Grooming von schwulen Männern. «Auch wenn man sich das Thema Drag-Verbote anschaut, frage ich mich, wo hier der Sinn ist», gibt Matt zu bedenken. «Als Kind nimmst du das Glitzern und das Kostüm war, da machst du dir keine Gedanken über die Geschlechtsidentität.» 

Es bleibt auf jeden Fall spannend, wie sich die queere Community in den USA und auch international entwickelt. 

  • Wer sich über aktuelle gesellschaftliche und politische LGBTQI* Themen auf dem Laufenden halten möchte, kann Matt auf Instagram oder TikTok unter @mattxiv folgen.