Endlich wieder! Pinke Streifen!

Von Backlashes bis zu Fetisch – so wird das 27. Pink Apple Filmfestival.

Es ist ein Fixstern im queeren Veranstaltungskalender der Schweiz – das Pink Apple Filmfestival in Zürich und Frauenfeld, das Ende April/Anfang Mai bereits zum 27. Mal über die Bühne geht. DISPLAY hat mit Andreas Bühlmann, dem künstlerischen Co-Leiter von Pink Apple, über das Programm, die Fokusthemen und die Bedeutung des Festivals gesprochen.

Andreas Bühlmann: Das Pink Apple Filmfestival fand erstmals 1998 in Frauenfeld als schwul-lesbisches Thurgauer Filmfestival statt. Die Initiative dazu ging von einigen schwulen Männern aus dem Thurgau aus, die sich für die Repräsentation schwuler Themen auf der Leinwand einsetzten. Mit den Eurogames im Jahr 2000 stand das Pink Apple zum ersten Mal auch in Zürich auf dem Programm, wodurch es einem breiteren Publikum zugänglich wurde.

Das Festival hat sich gewandelt. Zu Beginn war es ein schwul-lesbisches Festival, dann kamen nach und nach Filme mit trans Bezug dazu. In den letzten Jahren hat es sich zu einem queeren Festival entwickelt, bei dem alle aus der LGBTIQ-Community inkludiert werden konnten. Unser Ziel ist es, dass die Festivalbesuchenden auch über ihre persönlichen Interessen hinausgehen und sich für die Vielfalt innerhalb der Community interessieren, nicht zuletzt auch für Geschichten über non-binäre und trans Menschen. Zudem leisten wir mit dem Pink Apple einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt in der Kinolandschaft. Viele der Filme, die wir zeigen, kommen sonst nicht in die Kinos.

Wir sichten rund 250 Langfilme und 450 Kurzfilme, aus denen wir dann die finalen Werke auswählen. Gezeigt werden beim Festival letztlich ungefähr 50 Langfilme und 30 Kurzfilme, die aus etwa 30 Ländern kommen.

Alle müssen einen queeren Bezug haben und aktuell sein, vor allem aber müssen ihre Geschichten filmisch und inhaltlich überzeugen. Zudem werden für das Pink Apple jedes Jahr
Fokusthemen definiert, zu denen auch ältere Filme passen können. Ausserdem wird der «Golden Apple» als Ehrenpreis an eine herausragende Persönlichkeit verliehen, um deren queeres Filmschaffen zu würdigen. Von dieser werden dann auch mehrere Filme gezeigt, einschliesslich älterer Werke.

Es gibt jedes Jahr Schwerpunktthemen. 

■ Ein Fokusthema ist dieses Jahr Bisexualität. Häufig werden bisexuelle Menschen «übersehen» oder ihre sexuelle Orientierung falsch interpretiert. Wird ein Mann Hand in Hand mit einem Mann gesehen, meinen viele automatisch, dass es eine schwule Person ist. Es wird dazu eine spezifische Auswahl an Filmen und eine Panel-Diskussion über Bisexualität im Film und die Visibilität von Bisexuellen im Alltag geben. 

■ Ein anderer Fokus dreht sich um Fetische. Wir möchten die diversen Phantasien der Queer-Community zelebrieren, dabei Hürden durchbrechen und Hemmungen abbauen. Geplant sind dazu Performance-Events und Workshops, welche die unterschiedlichen Kinks feiern sollen.

■ Ein weiterer Schwerpunkt des Festivals liegt auf dem Coming-out, insbesondere wie Jugendliche heute damit umgehen und wie man das Umfeld früher sensibilisieren kann. Die Plattform für junge Menschen «du bist du» wird dazu einen Vortrag halten. Im Zentrum steht hier vor allem die Einbindung von «Allies», also Verbündeten von queeren Menschen, die durch den Fokus adressiert und dazu animiert werden sollen, für ihre queeren Kinder, Kolleg:innen und Mitmenschen da zu sein. 

■ Schliesslich wird die Tendenz zu einem gesellschaftlichen Backlash zu konservativeren Werten in einem Fokus thematisiert. In Ländern wie Russland, Polen oder Italien haben rechtspopulistische Kreise die queeren Rechte wieder eingeschränkt. Beim Pink Apple wollen wir genauer hinsehen, was das bedeutet. Was dürfen etwa Lehrpersonen in Ungarn noch sagen, ohne dass man ihnen unterstellt, dass sie Schwulenpropaganda betreiben? Dazu wird es unter anderem ein politisches Panel geben, wo wir uns ansehen, wie die aktuelle Situation in der Schweiz ist und wo wir achtsam mit unseren erkämpften Rechten umgehen müssen.

Im Hauptprogramm gibt es einen internationalen Langfilmwettbewerb mit sieben bis acht Filmen, die idealerweise ihre Schweizer Premiere beim Pink Apple feiern. Ausserdem wird ein Kurzfilmwettbewerb mit etwa 20 Kurzfilmen veranstaltet. Die Preisträger werden von einer internationalen Jury ausgewählt. Zusätzlich wird der ZBK-Publikumspreis für den besten Dok-Film und den besten Spielfilm verliehen. Dafür bekommen die Besuchenden nach den Filmen ein Kärtchen, mit dem sie ihr Voting abgeben können. Alle diese Preise werden in der Closing Night in Zürich am 2. Mai vergeben. Nicht zu vergessen ist auch der «Golden Apple», der diesjährige Ehrenpreis an Elene Naveriani (siehe Box Seite 35).

Aus Erfahrung wissen wir, dass Filme aus Italien, Frankreich und aus Lateinamerika sehr beliebt sind. Herausfordernder ist es bei Filmen aus dem asiatischen Raum, da hier oft besondere Eigenheiten vorkommen und der Symbolismus in Bild und Handlung den Menschen aus westlichen Kulturen weniger vertraut ist. Wir versuchen aber stets, genau diese Erfahrungswelten am Festival einzufangen und näherzubringen. 

Als Geburtsort des Festivals hat Frauenfeld eine besondere historische Bedeutung im Thurgau. Es handelt sich um das einzige Filmfestival im Kanton und so leisten wir einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Vielfalt. Das Programm hat einen Best-of-Charakter, wobei vor allem die Highlights von Zürich auf dem Programm stehen. Jedes Jahr findet aber auch eine Podiumsdiskussion oder ein Themenschwerpunkt in Frauenfeld statt. Dieses Jahr gehen wir der Frage nach, wie schwierig das Coming-out am Arbeitsplatz in der ländlichen Region des Thurgaus immer noch sein kann. 

Ich freue mich vor allem auf die Golden-Apple-Preisträger:in Elene Naveriani. Elene ist ein:e non-binäre Regieperson und ist für uns ein Paradebeispiel einer queeren filmschaffenden Persönlichkeit, die das gesamte Spektrum von queeren Themen im Film abdeckt. Ich freue mich ausserdem auf viele spannende Filme und ein abwechslungsreiches Rahmenprogramm, vor allem aber auch auf die Begegnungen mit unseren Filmgästen und dem Publikum. 


 

Auf zum Naked Beach in Athen

Der Spielfilm «The Summer with Carmen» führt zum cruisy Gay-Strand von Athen, wo der Mittdreissiger Demosthenes und sein Kumpel Nikitas an einem Drehbuch für einen Spielfilm arbeiten. «Wir sind alle kleine Weicheier», «Bisexuelle sind real» oder «Realität ist nicht immer realistisch» – das sollen einige Botschaften des geplanten Films sein. Diese manifestieren sich in einem Film-im-Film durch eine verstrickte Geschichte rund um den Hund Carmen, Demosthenes selbst und seinen Ex-Freund Panos. Die Kinobesuchenden erwartet eine komplexe Liebesstory, viel nackte Haut sowie ein authentisches, unzensiertes Bild eines griechischen Cruising-Strandes.

Eine Patchwork-Rainbow-Familie in Nordmazedonien

Wie kann eine lesbische Frau, die nie Kinder haben wollte, die Kinder ihrer verstorbenen Partnerin in Nordmazedonien auf offizielle Weise adoptieren? In der Tragikomödie «Housekeeping for Beginners» ist eine Scheinehe mit einem schwulen Mitbewohner, der ständig seine jungen Lover wechselt, die vermeintliche Lösung. Dabei treten Herausforderungen in einer chaotischen WG einer wahrhaft ungewöhnlichen Patchwork-Familie ans Tageslicht. «Housekeeping for Beginners» bringt sowohl schwule als auch lesbische Themen in den Fokus und hat bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig den Queer Lion gewonnen. 

4220_D001_4655 (l-r.) Samson Selim stars as Ali, Vladimir Tintor as Toni, Anamaria Marinca as Dita and Sara Klimoska as Elena in director Goran Stolevski’s HOUSEKEEPING FOR BEGINNERS, a Focus Features release. Credit: Viktor Irvin Ivanov / © 2023 FOCUS FEATURES LLC

Ein iranischer Ringer auf der Flucht

Gegner hat der Protagonist Iman, der mit seiner Familie vom Iran nach Schweden flüchtet, im Film «Opponent» (also Gegner) wahrlich genug: den Asylkampf mit den Behörden, die Verantwortung für seine Familie, die Homophobie, aber auch das winterlicheisige Klima Skandinaviens. In Schweden müssen sie von einer Flüchtlingsunterkunft in die andere wechseln. Iman nimmt seine Ringertätigkeit wieder auf und wird erneut mit seiner unterdrückten homosexuellen Lust konfrontiert, die er jedoch aufgrund traumatischer Erlebnisse schwer ausleben kann. Dazu kommen immer mehr Probleme mit seiner Familie, die ihn verlassen und in den Iran zurückkehren will. Sowohl kühle Landschaftsszenen als auch intime Sequenzen sorgen für einen berührenden Kinoabend.


Der Golden Apple von Pink Apple für Verdienste im queeren Filmschaffen geht dieses Jahr an Elene Naveriani, eine nonbinäre Regieperson georgischen Ursprungs, die seit Jahren in Genf lebt. They hat bis jetzt vier Langfilme mit queerem Bezug gemacht, von denen drei beim Festival zusammen mit einem Kurzfilmprogramm und einer Masterclass gezeigt werden. 

In den Filmen werden unsichtbare Geschichten sichtbar gemacht und ungehörte Stimmen hörbar. Elene sorgt in den Filmen dafür, dass marginalisierte Menschen zu den zentralen Akteur:innen werden. 

Finanziert wird das Pink Apple durch Tickets, Sponsoring und die öffentliche Hand. Hauptpartner sind SWISS und Zürcher Kantonalbank. Das rund 30-köpfige Team arbeitet ehrenamtlich. Gerne kannst du dich als Gönner:in am Festival beteiligen. Du kannst etwa eine Filmpatenschaft übernehmen oder dich mit einer Spende beteiligen. Infos auf der Webseite von Pink Apple.

Nemo: Endlich frei

«I gloube das bisch du». Damit hat Nemo sich mit 18 in die Herzen der Fans gesungen und landete auf Platz 4 der Schweizer Hitparade. Mittlerweile ist Nemo 24, lebt in Berlin, singt Englisch und bezeichnet sich als nicht-binär – eine eigentliche Befreiung. DISPLAY hat Nemo in einem Berliner Café vor dem grossen Abenteuer ESC getroffen.

Interview Josia Jourdan Bilder Ella Mettler