DISKOFIEBER IM RUHRPOTT

In der neuen Serie «Disko 76» tanzt Jannik Schümann heisser als einst John Travolta.

Von Dieter Osswald

Schöne alte Welt! Sechs Folgen schicken einen auf eine Nostalgiereise in die 1976-er Jahre. Die Disco-Kugel glitzert zwar nicht in einem queeren Tanztempel. Dennoch ist die Serie sehenswert: Da wären die Retro-Ausstattung mit Seventies-Frisuren und dazu passenden Klamotten. Und da wäre natürlich der Soundtrack, der von ABBA über Donna Summer bis zu Queen reicht und die in der queeren Community bis heute beliebten Seventies-Hits feiert.

Besonders gefällt der schwule Hauptdarsteller Jannik Schümann. Er ist aus «Die Mitte der Welt» noch gut in Erinnerung. Sowie Jonas Holdenrieder, Jahrgang 1999. Der spielte einst in «Fack ju Göhte» das Mobbing-Opfer, das im Süsswaren-Automat eingeklemmt war. In der ZDF-Serie «Dr. Klein» überzeugte er in der Folge «Schlechtes Gewissen» als 17-Jähriger, der zum Opfer sogenannter «Konversionstherapien» wird. Last not least präsentiert er in «Trübe Wolken» einen sensiblen Helden, was ihm den Nachwuchspreis beim Filmfestival Max Ophüls bescherte. Wobei er in Disko 76 nach acht Minuten schon einen Nacktauftritt hinlegt: Als kurzgeschorener Fahnenflüchtiger, der nicht beim Bund dienen will, wirft er seine Uniform kurzerhand in eine Mülltonne. Last but not least heisst einer der beiden Regisseure Lars Montag, der mit «Einsamkeit und Sex und Mitleid» eine sehr smarte Komödie präsentierte. 

Doro (Luise Aschenbrenner) trifft im «Panoptikum» auf Robert (Jannik Schümann). Bild RTL+

Die Kulisse wirkt wie ein schwuler Club: Fast nur Jungs. Etliche mit freiem Oberkörper. Des Rätsels Lösung: Es handelt sich um eine Disco der in Bochum stationierten US-Streitkräfte. Dort entdeckt die junge Doro die Faszination des Tanzes, der sie aus dem grauen Alltag aussteigen lässt. Und dort entdeckt sie den attraktiven Robert alias Jannik Schümann, der sich geschmeidig zu Donna Summers «Love to Love you baby» auf der Tanzfläche bewegt. Das Hemd lässt er lässig offen, schliesslich kann er diesen Body stolz präsentieren. Das macht er später ebenfalls in etlichen Sex-Szenen, schliesslich verdient sich der junge Mann mit diskreten Liebesdiensten ein paar Mark extra. 

Aus dem Twink aus «Die Mitte der Welt» ist mittlerweile ein muskulöser Kerl mit Model-Massen geworden. Nur dass er die Achseln rasiert, ist ein kleiner Patzer in der sonst sehr stimmigen Nostalgie-Reise. 

Die Gäste des «Panoptikum» machen bei Doros Tanzeinlage mit. Bild RTL

Die mittlerweile vom Disco-Virus infizierte Doro entwickelt den kühnen Plan eines eigenen Tanzschuppens in der Eckkneipe ihres Bruders. Der Coup gelingt. Bald pilgern die Teenies in die erste Disko im Ruhrpott – sehr zum Ärger der Konkurrenz in Düsseldorf, wo bald fiese Pläne geschmiedet werden. Doch Doro lässt sich nicht entmutigen, «irgendwann, dann tritt hier David Bowie live auf. Oder Michael Jackson», lautet ihr Traum. 

Tatsächlich wird einer der beiden tatsächlich in ihrem Laden vorbeischauen! Bis dahin gelten die drei eisernen Disko-Regeln: Sexy Personal! Sexy Gäste! Sexy Musik!

Die Serie überzeugt durch kurzweilige Unterhaltung und stimmige Atmosphäre. Und natürlich auch durch einen sehr sexy Jannik, dessen Tanz-Auftritte auch einen Travolta mit Leichtigkeit in den Schatten stellen. 



Fürsprecher der Community: Schauspieler Jannik Schümann.

Interview mit Schauspiel-Star Jannik Schümann zum Retro-Sechsteiler «Disko 76».

Interview Dieter Osswald

DISPLAY: Herr Schümann, auf der Berlinale waren Sie überraschend blond unterwegs. Wie kommt’s?

Jannik Schümann: Nach dem Ende meines letzten Drehs Anfang Dezember hatte ich drei Monate Pause. Diese Zeit habe ich für das Blondieren genutzt. Als Schauspieler passt man sein Aussehen den Rollen an, man wird fremdbestimmt. Deshalb habe ich die kurze Pause einfach genutzt, um meinen Look selbst zu bestimmen.

Es ist aber jetzt nicht die Tarnkappe, die Elyas M’Barek sich immer wünscht, damit er unerkannt durch die Welt laufen kann?

Nein, das ist einfach wirklich nur eine freie Entscheidung gewesen. Eine Tarnkappe brauche ich zum Glück nicht.

«Disko 76» spielt Ende der Siebziger. Hätten Sie Lust auf eine nostalgische Zeitreise?

Also das kommt drauf an, wofür. Eine Zeitreise, um da mal reinzuschnuppern? Ja! Möchte ich in den 70er Jahren leben? Nein! 

Was spricht dagegen?

Auch wenn die 70er Jahre total spannend waren – die Zeit des Umbruchs – und ich mich wohl der Hippie- oder der 68er-Bewegung angeschlossen und für Rechte gekämpft hätte, freue ich mich vor allem, als schwuler Mann in Deutschland in der Zeit zu leben, in der ich jetzt lebe. Damals drohte Homosexuellen noch Gefängnis.

Die Unbeschwertheit und Überschaubarkeit von damals würde Sie nicht reizen?

Doch schon, zudem hatte man richtig geile Musik, die ich mir auch heute noch privat sehr gerne anhöre. Deswegen gefällt mir die Idee der Zeitreise ja auch, ich wäre zum Beispiel richtig gerne bei dem Aufstieg der Disko-Bewegung in Deutschland dabei gewesen. Da hätte ich auf jeden Fall viel mitgetanzt.

Sie zeigen im Film grosses Tanz-Talent, auf das Travolta neidisch sein könnte. Wo haben Sie das gelernt?

Travolta, echt jetzt? Das ist aber nett. Das Tanzen habe ich meiner Mutter zu verdanken. Sie hat damals immer getanzt, das hat mich so begeistert, dass ich als kleiner Junge auch damit anfing und einmal in der Woche die Tanzschule besuchte. Meine Freunde und Freundinnen waren beim Fussballspielen und ich habe halt getanzt. Das ist bis heute eine Leidenschaft von mir. Und endlich durfte ich diese Leidenschaft mit meiner Arbeit verbinden.

So hat man Sie bislang noch nie gesehen…

Das stimmt, aber es gibt eben auch keine grosse Tanzproduktion in Deutschland aus den letzten Jahren. Ich kann mich jedenfalls an keinen Tanzfilm oder eine Tanzserie erinnern.

In einigen Szenen erlebt man Sie recht freizügig. Sind Nacktszenen für Sie Pflicht oder Kür?

Für mich ist es entscheidend, ob Nacktszenen für das Erzählen einer Figur und einer Handlung wichtig sind. Als Selbstzweck wäre es Unsinn. Hier in «Disko76» finde ich alle Liebesszenen und die Haut, die da gezeigt wird, sehr relevant.

Hätten Sie sich einen schwulen Erzählstrang in «Disko76» gewünscht?

Es muss nicht in jeder Serie oder jedem Film homosexuelle Personen geben. Vor allem nicht, wenn man diese mit Stereotypen verziert und klischeehaft erzählt, wie es in Deutschland noch oft der Fall ist. Grundsätzlich muss queere Thematik jedoch sehr viel mehr präsenter sein. Hier fehlt es in der Film- und Fernsehlandschaft noch an Repräsentation.

Haben Sie Schnittmengen mit Robert? Sind Sie so cool wie er?

Was ich auf jeden Fall bei Robert gut nachfühlen kann, ist seine Suche und der Drang nach Liebe. Ist es nicht das, was uns Menschen alle antreibt? Robert geht auf die Suche nach Antworten auf die Fragen, die in seiner Kindheit entstanden sind. Sein Motiv: Liebe und Zuneigung. Ich denke, man kann sich sehr schnell emotional mit ihm verbinden. 

Vor drei Jahren waren Sie bei der Coming-out-Aktion #ActOut dabei. Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Wir sind mit #ActOut weltweit Vorreiter. In keinem anderen Land gibt es so viele Menschen des öffentlichen Lebens, die sich zusammengetan und gemeinsam gesagt haben: «Wir sind homosexuell!». Ich bin einfach wahnsinnig stolz auf uns und auf die Bewegung und hoffe, dass sich noch viele Menschen diesem mutigen Schritt in die Öffentlichkeit anschliessen – und das nicht nur in Deutschland!

Gab es auch negative Bemerkungen Ihnen gegenüber? Bei 360‘000 Fans auf Instagram wären einige homophobe Kommentare kaum verwunderlich…

Es gab zum Glück fast keine negativen Kommentare. Ich wurde mit viel Liebe von meiner Community überschüttet.

Gab es umgekehrt Leute, denen Sie als Identifikationsfigur geholfen haben?

Ich habe damals gedacht, wenn es nur eine Person gibt, die mir schreibt, sie habe dadurch den Mut gefunden, sich zu outen, dann habe ich alles richtig gemacht. Und ich habe wirklich die Tage danach und bis heute noch immer so viele Nachrichten bekommen, dass Menschen sich direkt vor ihrer Familie geoutet haben, weil sie den Mut bekommen haben durch mich. Das hat mich wirklich einfach zu Tränen gerührt und war für mich sehr schön.

Hängt es Ihnen bisweilen zum Hals heraus, als Gay-Gallionsfigur gehandelt zu werden, die sich ständig zu dem Thema äussern soll?

Nein, es hängt mir nicht zum Hals heraus, weil es einfach sehr wichtig ist und weil ich das mittlerweile auch als meine Verantwortung sehe. In meiner Wunschvorstellung muss die sexuelle Orientierung in der Gesellschaft nicht mehr thematisiert werden. Bis wir jedoch dort angekommen sind, bin ich sehr gerne eine Stimme für meine Community.

Wie geht es Ihnen, wenn Sie heute, zehn Jahre später, den Film «Die Mitte der Welt» anschauen?

«Die Mitte der Welt» ist immer noch einer meiner Lieblingsfilme. Er ist, wie schon der Roman, einfach so besonders, weil er in keiner Sekunde Homosexualität als Problem darstellt. Es ist eine ganz universelle Liebesgeschichte, die eins zu eins so stattgefunden hätte, wenn man meinen Charakter durch eine weibliche Figur ausgetauscht hätte. Es geht dabei einfach nur um Liebe, die hier so wunderschön dargestellt wird. Dafür bin ich dem Regisseur des Films, Jakob M. Erwa, bis heute dankbar.   


Fürsprecher der Community

Jannik Schümann (*1992) ist ein deutscher Schauspieler, Synchron- und Hörspielsprecher. Bekannt wird er durch die schwule Lovestory «Die Mitte der Welt». Als Junge im falschen Körper spielt er im TV-Film «Mein Sohn Helen». Weitere Rollen übernimmt er in der Ödön von Horváth-Neuverfilmung «Jugend ohne Gott», der ARD-Kriminalreihe «Die Diplomatin» sowie der RTL+-Neuverfilmung «Sisi», wo er als Kaiser Franz Josef I. zum dritten Mal in Folge den Jupiter-Award als bester Schauspieler erhielt. 

2020 machte Jannik seine Beziehung zu seinem Partner öffentlich. Er ist damit einer der ersten Schauspieler seiner Generation, der sich als homosexuell outet. Vor wenigen Tagen gab er auf Instagram seine Verlobung bekannt – mit einem Tattoo auf dem Bein und der Frage «How about You + Me». Er unterstützte zudem das Manifest «#ActOut», in dem sich 185 Schauspieler*innen outeten. 

Im Januar 2023 las Jannik Schümann, gemeinsam mit Maren Kroymann, zu Ehren queerer NS-Opfer im Deutschen Bundestag. Nun ist er als tanzwütiger Verführer in der fünfteiligen Serie «Disko76» zu bestaunen.

Jannik und sein Verlobter Felix Kruck: Wie wär’s mit uns für immer? Lautete die Frage auf dem Oberschenkel. «Fuck yeah», lautete die Antwort. Und damit war die Verlobung Tatsache:

Nemo: Endlich frei

«I gloube das bisch du». Damit hat Nemo sich mit 18 in die Herzen der Fans gesungen und landete auf Platz 4 der Schweizer Hitparade. Mittlerweile ist Nemo 24, lebt in Berlin, singt Englisch und bezeichnet sich als nicht-binär – eine eigentliche Befreiung. DISPLAY hat Nemo in einem Berliner Café vor dem grossen Abenteuer ESC getroffen.

Interview Josia Jourdan Bilder Ella Mettler