Bones and all

Quickie im Maisfeld mit Timothée Chalamet. Der so bizarre wie blutrünstige Film «Bones and all» läuft jetzt im Kino.

Er gilt als angesagtes Schmacht- und Kreischobjekt von Hollywood, bis auf das Cover der «Vogue» hat es Timothée Chalamet geschafft – als einziger Mann in 106 Jahren! In «Call me by your name» genügte dem Shooting-Star einst noch ein Pfirsich zum Lustgewinn. Mittlerweile braucht er Menschenfleisch. Wiederum steht der 26-jährige New Yorker für Italo-Filmer Luca Guadagnino vor der Kamera. Statt schwuler Lovestory geht es diesmal um die Liebe zweier Aussenseiter, die ihr Schicksal als Kannibalen verbindet. In Venedig gab es dafür den Regiepreis sowie den Schauspielpreis für Taylor Russell. Zartbesaitete Zuschauer seien vorgewarnt: Das grosse Fressen fällt nicht selten recht blutig aus.

Text Dieter Osswald

«Eater» nennen sich jene heimlichen Kannibalen, die sich auf grosse Distanz gegenseitig am Geruch erkennen. Teenager Maren (Taylor Russell) ist noch nicht so ganz auf den Geschmack gekommen, die aufkommende Fleischeslust macht sie unsicher. Nach einem schockierenden Zwischenfall mit den ahnungslosen Mädchen im Nachbarhaus, hat der Vater endgültig genug von seiner menschenfleischfressenden Tochter. Er hinterlässt Maren eine besprochene Kassette samt Walkman auf dem Küchentisch und macht sich feige auf die Flucht. Für die verstörte junge Frau der auslösende Anlass, endlich ihre Mutter zu suchen, die sie nie kannte. Wie es sich für ein richtiges road movie gehört, ist der Weg zugleich das Ziel. Quer durch die Bundesstaaten von Amerika führt die Reise, mit drei grossen Buchstaben wird die Geografie optisch eingeblendet.

Der Lover steht auf der Speisekarte

Nachts in einem unheimlich anmutenden Provinz-Kaff trifft Maren auf den bizarren Sully (Oscarpreisträger Mark Rylance in Bestform!), der sich als erfahrener Menschenfresser entpuppt und gerne die Rolle des väterlichen Mentors übernehmen möchte. Seinem Angebot, als Begrüssungssnack gemeinsam eine alte Dame zu vernaschen, kann der hungrige Teenager kaum widerstehen. Kaum ist der Senioren-Snack verdaut, kommen der Kannibalin erste Zweifel an den Absichten ihres vermeintlich freundlichen Gastgebers. Spontan beschliesst sie die schnelle Flucht. Der hastige Aufbruch hat sich gelohnt. Denn wenig später trifft Maren in einem Supermarkt auf den attraktiven Lee (Timothée Chalamet), der über das Potenzial zum perfekten Liebeskandidaten verfügt. Schnell entdecken die Aussenseiter ihre Seelenverwandtschaft sowie die gemeinsame Leidenschaft für Menschenfleisch. Gemeinsam macht sich das schwer verliebte Eater-Duo auf die Suche nach Marens verschollener Mutter. Leichen pflastern ihren Weg. Um trauernde Angehörige zu vermeiden, stellt Lee sein Menü spontan auf alleinstehende Schwule um. Homophob? Von wegen: Schliesslich geniesst Lee seinen Quickie mit dem Schiessbudenverkäufer im nächtlichen Maisfeld. Die zuschauende Freundin gönnt ihm sein Vergnügen. Schliesslich steht Lees neuer Lover längst auf der gemeinsamen Speisekarte.

Begeistertes und angewidertes Publikum

Liebe geht bekanntlich durch den Magen, der ganz grosse Kannibalen-Kick kommt freilich erst, wenn der Filmtitel befolgt wird und das Opfer mit Haut und Haar sowie den Knochen aufgegessen wird. Die ungewöhnliche Mischung aus Coming-of-Age, Lovestory, Road-Movie und Horror sorgt für Staunen und Gänsehaut gleichermassen. Und sie hat Polarisierungspotenzial: Regie- sowie Schauspielpreis in Venedig auf der einen Seite. Zugleich empörte Zuschauer, die schockiert von den Splatter-Szenen den Saal verlassen. Weniger wegen Gewaltexzessen, vielmehr wegen Bildern wie aus einer «Körperwelten»-Ausstellung oder einer Anatomie-Dokumentation. Zarte Gemüter können immerhin getrost die Augen schliessen. Das Kino zur Mutprobe nutzen oder als Dating-Film mit Kuschelgarantie.

Wer mehr Mehrwert möchte, kann die visuell famose Tour dieser Fine Young Cannibals als Metaphorik für US-Kapitalismus, Drogensucht und Identitätssuche enträtseln. Oder Luca Guadagnino als einfallsreichen Autorenfilmer der ziemlich rigorosen Art bewundern. Last not least werden die Timothée-Fans mit charismatischen Blicken sowie viel freiem (wenngleich oft blutverschmiertem!) Oberkörper des Hollywood-Darlings belohnt – auch Taylor Russel hat ihn zum Fressen gern.

Schau hier den Trailer an:

Trailer Timothée Chalamet