Bilder jenseits der Schmerzgrenze

Kakerlaken, schrille Farben und politische Aktionen – Die Werke von Tobibi Bienz haben
in den letzten Jahren für Aufsehen gesorgt. Doch was steckt dahinter? DISPLAY hat Tobibi zum Gespräch getroffen.

Interview Josia Jourdan

DISPLAY: Tobibi, viel Persönliches findet man im Netz nicht über dich. Angenommen, wir treffen uns auf einer Veranstaltung, wie würdest du dich vorstellen?

Tobibi Bienz: Nun ja, das kommt auf den Kontext an. Tobibi an einem queeren Rave im Wald, Tobibi an einer Podiumsveranstaltung oder Tobibi hier im Interview stellen sich unterschiedlich vor.

Verständlich. Nackt zu Goa im Wald tanzen oder Champagner schlürfen zu Klassik ist schon ein Unterschied.

Absolut. Wahrscheinlich würde ich dir erzählen, warum ich hier bin und was ich denke. Letztlich wäre es aber abhängig davon, wer du bist und wie unsere Beziehung ist. Aber um die Hard Facts zu nennen: Geboren wurde ich in Winterthur und war lange als Tobias und Mann im Leben unterwegs. Ich bin Profi im Studiengänge abbrechen und arbeite als Künstler:in in unterschiedlichen Bereichen, oft ausserhalb der Schweiz. Lange habe ich im Balkan gelebt.

Was hast du im Balkan gemacht?

Gelebt, geliebt, Musik gemacht, Projekte umgesetzt und nach dem Sinn meiner Kunst gesucht. Also wie ich aktivistische Kunst machen kann, die mehr ist als reine Abendunterhaltung. Das war zu dieser Zeit ein zentrales Thema. 

Heute nicht mehr?

Doch, bestimmt. Aber zum Glück hab ich gelernt, wie zentral Spass und Humor für meine Arbeit sind. Ich möchte Kunst kreieren, die allen Freude bereiten kann und in der ich beim Arbeiten aufgehe.

Und darum arbeitest du mit Kakerlaken – um Freude zu bereiten?

Nein, der Ursprung ist aktivistisch. Ich war Teil eines Kunstprogramms in Hongkong während der Proteste gegen die Unterdrückung durch die CPP (Kommunistische Partei China). Die Strassen waren voll. Auch einige der anderen Teilnehmer:innen sind demonstrieren gegangen. Wir aus der Schweiz haben versucht, die Aufgaben des Programmes zu erledigen, uns gleichzeitig zu informieren und zu überlegen, wie wir in Shanghai eine Ausstellung umsetzen können, die politisch ist, ohne dass sie es auf den ersten Blick ist.

Auf einem Dach habe ich eine zerdrückte Kakerlake gesehen, da ist es über mich gekommen und ich habe mich in sie verliebt. Die Protestierenden wurden von den chinesischen Medien als Kakerlaken bezeichnet. Und so habe ich angefangen, einen Liebesbrief an die Kakerlake und auch an mich über das Erlebte, die Proteste und meine Gedanken zu schreiben. Ich schreibe da immer noch dran in Zusammenarbeit mit einer Journalistin aus Shanghai. 

Unser Never Ending Love Letter ist eine Auseinandersetzung mit der Frage: Was bleibt von der gescheiterten Revolution? Gleichzeitig reise ich mit den Kakerlaken, arbeite an anderen Projekten und entwickle mich selbst weiter.

Also ist aus dem aktivistischen Ursprung etwas entstanden, woran du Freude hast?

Ja, ich habe die Kakerlaken aus Shanghai in die Schweiz geschmuggelt. Ich habe zuerst auch Ekel vor diesen Tieren empfunden, aber mich damit auseinanderzusetzen hat viel in mir ausgelöst und so ist aus Ekel Schönheit geworden. Das ist ein guter Vergleich für mich, der ich als Schweizer Bünzli gross geworden bin mit allerlei Vorurteilen. Diese haben sich durch eine Konfrontation und Auseinandersetzung mit mir und der Welt verändert.

Wie sieht so eine Konfrontation denn genau aus?

Ein gutes Beispiel war das Kurzfilm- und Diskussionsprojekt Gift, bei dem wir über internalisierte toxische Männlichkeit in der Schweizer Kulturszene geredet haben. Da habe ich mich auch mit meinen Verhaltensmustern auseinandergesetzt – weit über das ursprüngliche Projekt hinaus. Für mich persönlich habe ich mit meinen Liebhaber:innen, meiner Familie und Freund:innen geredet. Dabei habe ich erfahren, dass ich bis zum Kindergarten immer Sarah war und lange Haare trug, bis ich wieder Tobi sein musste. Meine Mutter schnitt mir die Mähne ab, als ich in den Chindsgi kam. Aus der Angst heraus, dass ich sonst gemobbt werden würde. 

Krass. Inwiefern hat das bei dir die Auseinandersetzung mit deiner Identität beeinflusst?

Ich habe mich dadurch, aber auch durch anderes wie Auslandaufenthalte und Gespräche immer mehr damit auseinandergesetzt und für mich erkannt, dass Tobias zu Tobibi wird, werden will, werden darf, damit ich wirklich ich bin. 

Du hast deinen Geschlechtseintrag ändern lassen. Offiziell bist du nun eine Frau. Selbst identifizierst du dich aber am liebsten mit keinem der beiden Geschlechter. Was hat sich für dich durch diesen Schritt verändert?

Viel und doch wenig. Ich habe unterschiedliche Phasen im Leben durchgemacht. Ich war lange mit einer Frau zusammen, damals hetero und irgendwie hat es funktioniert für diesen Zeitraum, für diesen Menschen und auch für mich. 

Trotzdem merke ich, dass ich mittlerweile mich selbst lieber habe. Mich eben nicht mehr aus Liebe zu anderen verstellen muss, sondern mich selbst sein darf. Das bringt Veränderungen mit sich und hat neue Türen geöffnet. Wie ich aussehen möchte, was ich tragen kann, Dating, Sexualität – es ist so viel mehr Sex möglich. Ich fühle mich weniger einsam. Ich habe Worte gefunden für das, was ich fühle. Das hatte ich jahrelang nicht. 

Du arbeitest oft in Kollektiven, bist im Ausland unterwegs und arbeitest teils für ein kleines Publikum, manchmal aber auch medienwirksam. Wie findest du eine Balance? 

Das kommt von Projekt zu Projekt drauf an. Als die SVP die Durchsetzungsinitiative mit den schwarzen Schäfchen lanciert hatte, wollten wir gegensteuern, etwas schaffen, worüber geredet wird, was für Medien aufgreifbar ist. Am Ende haben wir Schafe auf den Helvetiaplatz gebracht und Reden an sie gehalten. 


Tobibi Bienz ist Performance- und Visuelle-Künstler:in sowie DJ aus der Schweiz. Bienz’ Arbeit und Kunst ist politisch, setzt sich mit rassistischen und sexistischen Strukturen auseinander und hinterfragt gesellschaftliche Normen. Tobibis Werke sind in Kunsthäusern, auf Theaterbühnen, im echten Leben und in Form von Filmen und Bildern zu entdecken und erleben. Aktuell arbeitet Tobibi an der Erweiterung seines Parasite-Projektes gemeinsam mit der argentinischen Künstlerin Victoria Papagni. Dafür reisen sie von Kunstresidenz zu Residenz, stellen dazwischen aus, performen mit den Insekten und regen zum Dialog an.


Du redest oft von wir. 

Und das nicht zufällig. Denn unsere Kunst entsteht oft in Kollektiven mehrerer Künstler:innen. Ich arbeite nicht gern allein, mag unterschiedliche Perspektiven und wie Kunst dadurch wachsen kann.

Findet sich darum auch so wenig unter dem Namen Tobibi Bienz?

Ach ja, die Credits, die Namen und der Kunstmarkt. Ein ewiger Fight. Bei Kollektivarbeiten steht das Projekt im Vordergrund, das Kollektiv, nicht ich oder andere. In der Kommunikation von Institutionen ist es schwierig durchzubringen: Wir sind 34 Namen, die ihr aufs Plakat schreiben sollt. Der Kunstmarkt möchte einen einzelnen Namen, es geht um Prestige und darum, verkaufbar zu sein. Das passt nicht zu mir. 

The Nozez: Marcio de Sousa, tobibienz und Tome Iliev. 

Aktuell arbeitest du mit der Künstlerin Victoria Papagni zusammen. Ihr entwickelt Parasite Selfie gemeinsam weiter. Wie ist es dazu gekommen? 

Während des Lockdowns gab es ein Programm für digitale Blinddates zwischen Künstler:innen. Wir wurden gematcht und es hat gepasst. Wir haben begonnen, digital zusammenzuarbeiten, aber wir haben uns auch persönlich ausgetauscht und daraus ist eine Freundschaft entstanden. Mit ihr zu arbeiten, ist bereichernd, weil wir teils ganz andere Herangehensweisen haben, aber eben auch persönlich verbunden sind und uns so gemeinsam entwickeln.    


1. Welche Musik läuft bei dir? 

Mailen Pankonin, Blanco Teta, Baby Volcano, Creme Solaire.

2. Tobibi in drei Worten?

Ellx (spanische version für weder el noch ella), Muuuuuuuuuchoooooooo, Blubb.

3. Wann fühlst du dich gesehen in deiner Identität?

Mis Foti im Pass. S Gsicht wo entgegeluegt im Spiegel, wenn I ready bin für uf d Gass.

4. Wie verbringst du eine Freitagnacht? 

Entweder ich hab Glück und bin auf einem Berg oder sonstwo in der Natur oder ich hab Glück und spiele ein Konzert – oder nicht…

5. Deine grösste Liebe? 

Music, Dance, Intimacy.

6. Deine grösste Angst? 

To be ugly / bad / destructive / denying – in the broad meaning –in my mind, in my actions, mit anderen und mit mir selbst.

7. Was bedeutet Zuhause für dich?

Beim nach Hause gehen freust dich auf den Ort – dort bist du safe – Wesen (humans and non humans), die dich so nehmen wie du bist und sein willst – du hast Raum, um laut und still zu sein. 

8. Was hält dich nachts wach? 

Musik, Substanzen, Liebe und Sorgen

9. Etwas Simples, das Freude in dir auslöst?

Intimacy & schnuufe.

10. Diese Künstler*innen inspirieren dich?

CrazinisT artisT _Va-Bene E.F, Victoria Papagni, pulperia_mutualica