Antinoos: Der ewig schöne Jüngling

Sie gilt als eine der berühmtesten Gay-Liebesgeschichten überhaupt: die Affäre zwischen dem römischen Kaiser Hadrian und dem sagenhaft schönen Jüngling Antinoos. Was hat es mit dieser legendären Figur auf sich? Was steckt hinter der Lovestory? DISPLAY hat sich mit Sean Gabb unterhalten, dem Autor eines neuen Buchs über den Kult von Antinoos.

Interview Mathias Steger

Sean Gabb: Die Geschichte von Antinoos ist sehr eigenartig. Es handelt sich um eine der erstaunlichsten und schönsten Persönlichkeiten der Geschichte. Antinoos begegnet man als Skulptur überall, egal ob im British Museum, im Pariser Louvre oder in Rom im Kapitolinischen Museum. Diese Allgegenwärtigkeit und die Tatsache, dass wir fast nichts über ihn wissen, faszinieren mich.

Antinoos wurde etwa um 112 nach Christus in der Stadt Claudio-polis in der damaligen römischen Provinz Bithynien in der heutigen Türkei geboren. Wer genau er war und von welcher Familie er stammte, wissen wir nicht. Wir können jedoch mit einiger Sicherheit sagen, dass Antinoos weder Sklave noch Angehöriger der untersten Klassen war. Er war jahrelang Begleiter und Liebhaber des römischen Kaisers Hadrian, ist als junger Mann im Nil ertrunken und wurde danach vom Kaiser zum Gott erhoben. Das ist ziemlich alles, was wir sicher über ihn wissen.

Kaiser Hadrian und sein geliebter Antinoos.

Wir wissen, dass Hadrian etwa 122 nach Christus nach Claudio-polis kam. Er war nur ein einziges Mal dort und daher können wir annehmen, dass sich die beiden zu diesem Zeitpunkt kennengelernt haben, also als Antinoos ein Teenager war. Wie und wo sie sich genau getroffen haben, bleibt ungeklärt.

Nach diesem Treffen haben die beiden grosse Teile des gesamten Kaiserreichs gemeinsam bereist. Der Kaiser war Zeit seines Lebens viel unterwegs und Antinoos begleitete ihn dabei häufig. Es kann angenommen werden, dass Hadrian und Antinoos eine Liebes- respektive eine sexuelle Beziehung hatten.

Ja, zu dieser Zeit war eine solche Beziehung weder ungewöhnlich noch verpönt. Es gab wenig Vorurteile gegenüber sexuellen Beziehungen zwischen Männern; was jedoch nicht heisst, dass jede Art von sexueller Beziehung zwischen Männern toleriert oder gar gebilligt wurde. Es war eine Frage der sozialen Schicht und wer welche Position einnahm. Wenn jemand aus der Oberschicht die aktive Rolle einnahm, war das problemlos. Hadrian war der Kaiser, also konnte er tun, was er wollte. Zudem war Antinoos kein römischer Bürger und als Ausländer sozusagen Freiwild.

Ja, aber das spielte keine grosse Rolle. In der Antike war es wichtig, dass Männer heiraten und Kinder zeugen. Was sie sonst noch taten, war nebensächlich und gleichzeitig wurde es als selbstverständlich angesehen, sich auch für Menschen desselben Geschlechts sexuell zu interessieren. Es war auch nicht relevant, dass Antinoos sehr jung war. Damals herrschten andere moralische Standards als heute.

Auf einer Reise mit Hadrian im Jahr 130 nach Christus in das heutige Ägypten stürzte Antinoos in den Nil und ertrank. Ob es Mord oder Suizid war, ist umstritten. Es scheint sich jedoch nicht um eine rein freiwillige Selbsttötung gehandelt zu haben, sondern eher um eine Art rituellen Suizid. Möglicherweise ging es dem Kaiser gesundheitlich nicht gut und er verlangte ein menschliches Opfer, um länger am Leben zu bleiben. Es war insofern ein Suizid, als Antinoos offenbar in den Nil sprang und sich ertränkte. Aber ob es wirklich seine freie Wahl war, bleibt ungeklärt. Seltsam ist zudem, dass die Umstände seines Todes unmittelbar danach vertuscht wurden. 

Hadrian, dargestellt als Kriegsgott Mars, Kapitolinische Museen Rom Statue von Antinoos aus der Hadrian-Villa in Tivoli, dem Sitz des Kaisers.



Hadrian mag geglaubt haben, dass diese Opferbringung für ihn von Nutzen sein würde. Nach dem Tod von Antinoos änderte er jedoch seine Haltung. Er vertuschte die Todesumstände, und wahrscheinlich auch aufgrund von immensen Schuldgefühlen liess er Antinoos sofort zum Gott erklären, liess Tempel zu seinen Ehren errichten und ihn auf Skulpturen und Münzen verewigen. Nach Antinoos’ Tod lebte Hadrian noch weitere acht Jahre. An dem Ort, wo die Leiche von Antinoos angeschwemmt wurde, gründete Hadrian innerhalb weniger Tage eine Stadt, die Antinoupolis getauft wurde. Es kam rasch und über lange Zeit zu einem grossen Verehrungs-Kult von Antinoos, der auch weit über den Tod von Hadrian hinausging.

Daran zweifle ich nicht. Antinoos war ohne Zweifel eine sehr attraktive, athletische und gut aussehende Person, sonst hätte ihn Hadrian nicht als seinen Liebhaber ausgewählt.

Ja. Die Griechen und Römer waren mindestens genauso von schönen Körpern besessen wie wir in der heutigen Zeit. Athletische Männer waren ja immerhin nackt bei Wettkämpfen oder im Theater. Es gab eine sehr umfangreiche Literatur, die sich mit Diät, Bewegung und damit befasste, jung und schön zu bleiben. 

Antinoos wird heute oft als Figur der verlorenen Jugend und Schönheit betrachtet. Die begrenzten Fakten über ihn ermöglichen verschiedene moderne Interpretationen, was ihn zu einer vielseitigen Figur in historischen und kulturellen Diskussionen macht.

Ja, ich glaube, wir wären überrascht zu sehen, wie viele Menschen auf der ganzen Welt wissen, wer Antinoos ist und ihn auf Bildern oder Skulpturen erkennen würden. Wahrscheinlich ist er heute noch genauso bekannt wie in der Antike. Verehrt wird Antinoos heute meiner Meinung nach weniger aufgrund seiner Göttlichkeit, sondern wegen seines Aus­sehens.

Ich glaube, er ist vor allem wegen seiner Schönheit und seinem besonderen Verhältnis mit Hadrian von Interesse und gilt auch als Symbol für gleichgeschlechtliche Liebe in der antiken Welt. Und so ist dieser junge Mann eine zeitlose Persönlichkeit, die ewig schön bleiben wird und um die es immer wieder Mythen und Geschichten geben wird.