Die Illustratorin Christina Baeriswil erzählt mit ihrer queeren Kunst Geschichten von Liebe, Selbstfindung und Vielfalt. Ihre vielschichtigen Werke sind nicht nur Ausdruck ihrer eigenen Identität, sondern auch eine inspirierende Botschaft der Akzeptanz und Authentizität.
Interview Zakaria Battikh | Illustrationen Christina Baeriswil
DISPLAY: Christina, erzähl uns etwas von dir. Wo bist du aufgewachsen? Hast du als Kind gerne gezeichnet?
Christina Baeriswyl: Ich bin auf dem Land in der Nähe von Thun aufgewachsen. Da gab es nicht so viel – ausser Wald und Natur als Inspiration.
Das Zeichnen habe ich geliebt und dauernd gemacht. Ich hatte auch viel Platz im Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Das ist der Vorteil des Lebens auf dem Land. Meine Grossmutter hatte eine künstlerische Ader und wir haben Ateliernachmittage gemacht, bei denen sie mir neue Techniken beibrachte.
Was hat dich dazu inspiriert, Illustratorin zu werden und seit wann bist du als Illustratorin tätig?
Meine Mutter hat mich früh mit Comics in Berührung gebracht. Somit war für mich seit der ersten Klasse klar, dass ich Comiczeichnerin werden wollte. Als ich mich dann aber nach der Matur für eine Ausbildung entscheiden sollte, habe ich ein Grafikdesign-Studium gewählt.
Du bist Lehrerin an der Schule für Gestaltung in Zürich und gibst auch öffentliche Kurse – macht dir das Spass?

Ich unterrichte nur ein kleines Pensum (rund einen Halbtag pro Woche). Ich finde es super inspirierend, mit jungen Leuten zusammenzuarbeiten, die Grafik und Gestaltung lieben. Gestaltung und Kreativität sind sehr persönlich. So kriegt man wirklich viel mit, auch Emotionales.
Welche Themen liegen dir besonders am Herzen, wenn du zeichnest?
Ich will nahe an Menschen sein und Emotionen der Gesellschaft spüren. Das finde ich auch das Tolle am Beruf der Illustrator:in. Ich kann mich immer wieder in neue Themen einlesen und dann darüber nachdenken, damit ich ein prägnantes Bild finden kann.

Silence, Illustration für die Fachstelle Frauenhandel und Migration.

Gibt es gesellschaftliche Themen, die du gezielt ansprichst?
Migration, Postmigration und Feminismus sind meine Hauptthemen. Und damit verbunden, wie wir uns als Menschen und als Gesellschaft entwickeln können. Aber natürlich gibt es brennende Themen wie Klimakatastrophen, Klimawandel und Klimaschutz, die mich ebenfalls beschäftigen. Oder auch die Digitalisierung. Am Ende hängt alles zusammen.
Kannst du uns von einem deiner Lieblingsprojekte erzählen? Was macht es besonders für dich?
Ich habe keine eigentlichen Lieblingsprojekte. Denn jedes Projekt, das ich annehme, finde ich toll und gebe für die Zeit, in der ich daran arbeite, auch meine ganze Liebe und Aufmerksamkeit. (Klar, es gibt auch einfach Moneyprojekte ;-))
Hast du manchmal auch Kreativitätsblockaden? Und wie gehst du damit um?
Für mich funktioniert es am besten, einfach das zu machen, auf das ich am meisten Lust habe. Meine Erfahrung zeigt mir, dass es wichtig ist, sich einfach mal auf den Weg zu machen und zu schauen, wohin es führt. Jede Weggabelung eröffnet neue Möglichkeiten und Ideen.
Christina, this or that?
Orange oder Violett? Violett
Claude Monet oder Andy Warhol? Claude Monet
Bauhaus oder Barock? Bauhaus
Chaos oder Ordnung? Ordnung
Paris oder Zürich? Paris
Computer oder ein Blatt Papier? Computer
Wie wichtig ist es dir, Vielfalt und Inklusion in deinen Werken abzubilden? Wie integrierst du LGBTIQ+-Themen in deine Illustrationen?
Das finde ich extrem wichtig. Als Bildschaffende muss man auch Verantwortung übernehmen. Da meinen Illustrationen meistens eine Bildidee zu Grunde liegt, die ich so spitz und genau als möglich transportieren möchte, greife ich zu erlernten Symbolen und damit auch Stereotypen. Das macht es manchmal nicht so einfach.
Wenn ich in einer Illustration eine nonbinäre, trans oder auch dicke Person abbilde, wird das als Statement verstanden und bringt damit eine weitere Aussage in meine Illustration. Wenn ich zum Beispiel eine Illustration zum Thema Ernährungssicherheit mache, ist es einfacher, meine Idee mit Normfiguren zu transportieren. Aber Repräsentation ist essentiell für die Entwicklung.

Illustration für «Hochparterre»

Hast du jemals negative Reaktionen aufgrund der LGBTIQ+-Themen in deinen Illustrationen erfahren?
Nein. Ich persönlich musste damit keine schlechten Erfahrungen machen.
Gibt es queere Künstler*innen, die dich beeinflusst haben?
Ja, ich habe mich sicher von queeren Künstler:innen beeinflussen lassen.
Gerade in meiner Jugend, als ich auf Identitätssuche war, haben mich die queeren Underground-Szenen fasziniert. Vor allem Fotografie und Film waren die Medien, die ich spannend fand. Die Städte New York, San Francisco und Berlin waren meine Sehnsuchtsorte. Und natürlich war die zugehörige Musik sehr wichtig für mich.

Welche Bedeutung haben Freiheit und Selbstausdruck für dich als Künstlerin?
Ich bin sehr dankbar, dass ich einen Beruf habe, der mir die Freiheit gibt, kreativ zu arbeiten. Mein Lieblingsteil des kreativen Prozesses ist die Suche nach Ideen und das Skizzieren derselben. Also eigentlich das Ausdenken und die anschliessende Formfindung, damit die Idee verstanden wird.
KI, künstliche Intelligenz nimmt immer mehr Einfluss auf kreative und gestalterische Arbeiten – ein Segen oder Fluch für dich?
Es wird das Arbeiten sicher verändern. Jede Veränderung eröffnet auch neue Wege. Aber ich möchte mich ja auch weiterentwickeln und verändern. Ich denke, es wird unsere Gesellschaft und auch die sozialen Strukturen verändern.
Was möchtest du noch in deinem Arbeitsleben erreichen?
Ich würde schon noch gerne meine künstlerische Seite weiterentwickeln und einen persönlichen Weg dabei gehen. Weg vom Digitalen, hin zur Malerei oder ganz allgemein, hin zum Arbeiten mit Materialien.
Auf welche Plattformen kann man mehr von deinen Illustrationen sehen?
In Magazinen, Zeitschriften, Zeitungen, aber natürlich auch auf Instagram.
Meine Webseite mit meinen Editorialillustrationen heisst: ▶ christinabaeriswyl.ch
Instagram: illustrateuse_baeriswyl
Christina Baeriswil
Geboren 1982 in Bern, lebt und arbeitet heute in Zürich. Zeichnen war schon immer ihre Passion. Nach dem Studium der visuellen Kommunikation 2007 an der Hochschule der Künste Bern
arbeitete sie mehrere Jahre als Artdirektorin in Werbeagenturen, bis sie sich 2012 dazu entschloss, sich ganz auf die Illustration zu konzentrieren und sich selbständig zu machen.
So konnte sie in den letzten Jahren eine Vielzahl von Projekten für Magazine, Zeitungen und Brands realisieren. Unter anderem publizierten die NZZ, WOZ, Annabelle, deVolkskrant, Surprise, Beobachter, Sonntagszeitung, Wirtschaftswoche, Migros Magazin, Hochparterre, Migros und Coop Naturaplan ihre Werke.
