DISPLAY-Exklusivinterview mit Karin Keller-Sutter zur Pride-Saison. Die Bundespräsidentin bekennt sich klar zu Diversität, Inklusion und Gleichberechtigung.
Interview Beat A. Stephan | Foto Keystone Christian Beutler
«Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTQ-Personen sind inakzeptabel. Die Schweiz hat die Verantwortung, sich für die Rechte und den Schutz dieser Menschen einzusetzen.»
Die Bedeutung der Prides
DISPLAY: Frau Bundespräsidentin, im Juni startet die weltweite Pride-Saison. Erlauben Sie uns eine persönliche Frage: Hatten Sie schon mal ein Pride-Erlebnis, das Sie mit uns teilen wollen?
Karin Keller-Sutter: Ich persönlich habe noch nicht an einer Pride teilgenommen, aber ich war Justizministerin, als 2021 das Schweizer Stimmvolk die Vorlage «Ehe für alle» angenommen hat. Das war ein wichtiger Schritt für unsere Gesellschaft.
Am 20./21. Juni findet die grosse Zurich Pride statt. Wie lautet ihre Botschaft an die Teilnehmenden?
Vielfalt, Respekt und Gleichberechtigung sind wichtige Grundwerte unserer Gesellschaft, für die wir gemeinsam einstehen. Es ist schön, wenn sich Menschen dafür einsetzen. Ihre Stimme ist wichtig – an der Pride und an jedem anderen Tag.
Ihre Heimat St. Gallen will ja keine Regenbogenflaggen zur Pride aufhängen.
Wir bedauern dies, und Sie?
Ich kommentiere den Entscheid des St. Galler Stadtrats nicht. Aber St. Gallen ist eine weltoffene Stadt, und das zählt für mich.
Weltweite Repression gegen Minderheiten
Die Situation der LGBTQ-Community wird weltweit schwieriger. In den USA, aber auch in Teilen Europas, geraten ihre Rechte unter Druck, sie wird gar vielerorts kriminalisiert. Als Bundespräsidentin hat Ihre Stimme Gewicht. Wie setzen Sie sich für diese Minderheiten ein?
Ich bin besorgt über die Infragestellung der Rechte dieser Minderheiten, sowohl in der Schweiz als auch weltweit. Gewalt und Diskriminierung gegenüber LGBTQ-Personen sind inakzeptabel. Die Schweiz hat die Verantwortung, sich für die Rechte und den Schutz dieser Menschen einzusetzen. Der Bundesrat unterstützt entsprechende Initiativen und Aktionen sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Die Schweiz ist ja keine Insel der Seligen. Auch hierzulande werden zunehmend Fälle von physischer und psychischer Gewalt gegen Lesben, Schwule oder trans Personen gemeldet.
Mit welchen Massnahmen will der Bundesrat hier Gegensteuer geben?
Der Bundesrat erarbeitet derzeit im Auftrag des Parlaments einen nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-feindliche «hate crimes». Ziel ist es, konkrete und koordinierte Massnahmen auf allen Ebenen umzusetzen, um Gewalt, Diskriminierung und Hass wirksam zu bekämpfen. Damit bekräftigen wir den Willen, ein sicheres und respektvolles Umfeld für alle Menschen zu schaffen.
Förderung von Vielfalt, Gleichstellung und Inklusion
Als Vorsteherin des Finanzdepartements EFD und des Eidgenössischen Personalamts EPA tragen Sie eine Mitverantwortung für mehr als 40‘000 Mitarbeitende der Bundesverwaltung. Setzen Sie sich dabei für Diversity ein, obwohl diese weltweit unter Druck gerät?
Die Diversität ist für die Bundesverwaltung auch ein strategischer Vorteil. Vielfalt ist kein Hindernis, sondern ein Gewinn. Als Vorsteherin des EFD und Vorgesetzte des EPA habe ich die Verantwortung, aber auch die Chance, für mehr als 40’000 Mitarbeitende ein offenes, vielfältiges Arbeitsumfeld zu schaffen, das unsere Gesellschaft widerspiegelt.
Diversity ist ja nicht nur ein «Nice to have». Es ist erwiesen, dass vielfältig zusammengesetzte Teams bessere Resultate erzielen. Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesen Erkenntnissen?
Dass vielfältige Teams bessere Ergebnisse erzielen, das sind nicht nur theoretische Feststellungen. Das zeigt sich auch in der Praxis. Wenn beispielsweise unterschiedliche Profile zusammenarbeiten, bringen sie unterschiedliche Erfahrungen, Methoden und Denkweisen ein. So kommt es oft zu besseren Entscheiden. Als erfahrene Politikerin konnte ich das immer wieder beobachten.
Mit welchen konkreten Massnahmen wird die Vielfalt in der Bundesverwaltung verstärkt?
Diversität wird in der Bundesverwaltung gezielt gefördert. Mit der Personalstrategie und dem Aktionsplan Diversität 2024–2027 schafft das EPA klare Grundlagen für eine offene und integrative Arbeitswelt. Die Fortschritte werden gemessen. Ausserdem stärkt der Bund mit Schulungen das Bewusstsein für gemischte Teams.
«Der Bundesrat erarbeitet derzeit einen nationalen Aktionsplan gegen LGBTQ-feindliche ‹hate crimes›. Ziel ist es, konkrete Massnahmen umzusetzen, um Gewalt, Diskriminierung und Hass zu bekämpfen.»
Das Bundesratsfoto 2025 zeigt den Gesamtbundesrat mit Menschen aus der ganzen Schweiz. Von links Bundeskanzler Viktor Rossi, Bundesrat Ignazio Cassis, Bundesrat Beat Jans, Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter, Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider, Bundesrat Guy Parmelin (Vizepräsident), Bundesrat Martin Pfister, Bundesrat Albert Rösti. | Bild Arthur Gamsa
Neben Diversität sind Equity und Inclusion Ziele einer modernen Personalpolitik, die zunehmend verteufelt werden. Gerade die Gleichberechtigung der Frauen dürfte Ihnen ein Anliegen sein, das Sie nicht fallen lassen wollen. Wie wollen Sie diese in Zukunft fördern?
Die Gleichberechtigung der Frauen ist für mich ein zentrales Anliegen. Konkret setzen wir uns dafür ein, den Zugang von Frauen zu Führungspositionen gezielt zu stärken und die interne Förderung qualifizierter Frauen aktiv zu unterstützen. Gleichzeitig bauen wir die Massnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiter aus. Damit bieten wir flexible Lösungen für jede Lebensphase.
Was bedeutet Gleichstellung für Sie persönlich?
Für mich bedeutet Gleichstellung, dass alle gleichlange Spiesse und Möglichkeiten haben. Es geht also um Chancengleichheit. Im Zentrum steht der Mensch und seine Persönlichkeit. Das Geschlecht und die sexuelle Orientierung stehen dabei nicht im Vordergrund. Entscheidend ist die Leistung.
Bleibt die Inklusion von Minderheiten, zum Beispiel der LGBTQ-Community, für Sie auch weiterhin ein Ziel? Wie fördert der Bund diese konkret?
Ja, die Inklusion von Minderheiten, einschliesslich der LGBTQ-Community, bleibt ein klares Ziel der Bundesverwaltung. Sie ist auch in der Personalstrategie 2024–2027 und im Aktionsplan Diversity Management 2024–2027 verankert.
Konkrete Massnahmen gegen Mobbing
Auch in der Bundesverwaltung kommen Mobbing und Diskriminierung vor. Was raten Sie den Betroffenen? Wohin können sie sich wenden?
Niemand muss Mobbing oder Diskriminierung hinnehmen. In der Bundesverwaltung stehen klare Verfahren und verschiedene Anlaufstellen bereit. Beispielsweise die Personal- und Sozialberatung der Bundesverwaltung, der Mediationsdienst, die Schlichtungskommission sowie HR-Dienste und auch Vorgesetzte oder Vertrauenspersonen.
Können Sie LGBTQ-Personen, die sich vor einem Coming-out am Arbeitsplatz fürchten, einen Ratschlag geben?
Es ist völlig verständlich, sich vor einem Coming-out am Arbeitsplatz unsicher zu fühlen. Wichtig ist, sich Zeit zu nehmen, die eigenen Erwartungen und Wünsche in Ruhe zu reflektieren. Es kann sehr helfen, zunächst vertraute Personen einzubeziehen, die Unterstützung und Verständnis bieten. Zusätzlich können sich Betroffene an ihre HR-Abteilung oder andere nationale Anlaufstellen wenden, die Unterstützung und Beratung bieten.
Und wie soll der Bund Ihrer Meinung nach die Akzeptanz von LGBTQ-Menschen in der Schweiz und international fördern?
In der Schweiz fördern wir die Akzeptanz von LGBTQ-Personen durch rechtliche Fortschritte. Und international setzt sich die Schweiz weiterhin für die Rechte von LGBTQ-Personen ein, etwa als Mitglied der Equal Rights Coalition oder durch die Unterstützung des UN-Experten für sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität. Wir arbeiten weltweit daran, den Schutz und die Akzeptanz von LGBTQ-Personen zu stärken