Bahnbrechende Doku über Homophobie im Fussball

«Das letzte Tabu» erzählt von mutigen Sportlern  und feigen Funktionären. Damit begeistert der Dokumentarfilm sogar unseren Kritiker, der eigentlich überhaupt nicht auf Fussball steht. 

Text Dieter Osswald | Bilder Broadview Pictures

«Der Fussball ist eine der feindlichsten Umgebungen für einen Homosexuellen», zitiert der Vorspann den brasilianischen FIFA-Schiedsrichter Igor Benevenuto, der sich 2022 als schwul geoutet hatte. 

Per Zitate raten später Corny Littmann, Präsident des FC Sankt Pauli, sowie Ex-Nationalspieler Philipp Lahm professionellen Kickern von einem Coming-out ab. Zu gross wären die möglichen Anfeindungen, warnen die besorgten Profis. 



Ein homophober Spruch folgt postwendend von einem bayrischen Funktionär, der wegen Steuerhinterziehung zu Gefängnis verurteilt wurde: «Schlimm ist nur, wenn er auf einem Doppelzimmer besteht», witzelt der Ex-Knacki aus München. Mit seinem ranzigen Stammtisch-Schenkelklopfer wirkt Ulrich Hoeness komplett aus der Zeit gefallen. Wie ein sehr altes und bemitleidenswert armes Würstchen erscheint dieser FC Bayern-Präsident, im Zweitberuf Wurstfabrikant. 

Justin Fashanu

Im Vergleich zum homophoben Bayern strahlen die internationalen Sympathieträger, die mutig gegen Diskriminierung aufstehen. Allen voran Justin Fashanu (*1961 in London; † 1998 in London), ein schwarzer Profi-Kicker, der 1990 als erster Fussballer den Tabubruch beging und seine sexuelle Orientierung nicht länger versteckte. Seine Nichte und sein damaliger Lover erzählen auf bewegende Weise, durch welche Hölle der Spieler bei einem homophoben Trainer ging. Er bekommt keine lukrativen Verträge mehr, wird sogar erpresst. Am Ende sah der von allen Seiten angegriffene Spieler keinen anderen Ausweg als den Suizid. 

Ein abschreckendes Beispiel für alle anderen queeren Kicker. Lediglich ein Dutzend stehen weltweit offen zu ihrer sexuellen Orientierung. Einer von ihnen ist der Brite Matt Morton: «Ich habe 18 Monate gebraucht für mein Coming-out, das war die schwerste Zeit meines Lebens», erzählt er. Von der Optik könnte er locker als Model durchgehen. Mittlerweile arbeitet er als Trainer bei einem drittklassigen Club in der Provinz. Und das immerhin ohne jegliche Anfeindungen. 

«Die Fans sind sehr viel weiter als die Funktionäre», behauptet die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, die seit Jahren das Phänomen Homophobie untersucht und auch Kicker berät. 

Als bestes Beispiel dient Fussballprofi Jakub Jankto von Sparta Prag, der seine Homosexualität in einem bewegenden Video öffentlich gemacht hat. Beim nächsten Spiel gegen den traditionellen Erzrivalen wurden homophobe Ausschreitungen der gegnerischen Fans befürchtet, Filmaufnahmen hatte der besorgte Verband vorsichtshalber verboten. Doch von Anfeindungen keine Spur. Mit erhobenem Haupt ging ein stolzer schwuler Fussballer vom Platz. 

Ehemaliger Fussballprofi, out: Thomas Hitzlsperger

Fortschrittlich gibt sich derweil der Club von Bilbao, der ganz bewusst den offen schwulen Ex-Profi Thomas Hitzlsperger als Botschafter engagiert. Redegewandt erzählt der charismatische Kicker von seinem Weg zum Coming-out, das er erst nach der Karriere wagte. Mittlerweile gilt er als Sprachrohr und internationaler Mutmacher. 

Einen Schritt weiter ging der US-Profi Collin Martin, der ein ganz neues Kapitel der Normalität eröffnete. Als er bei einem entscheidenden Spiel vom Gegner als Schwuchtel beschimpft wird, bestraft der Schiedsrichter das Opfer mit einer Roten Karte. Worauf der Verein aus Solidarität geschlossen das Spielfeld verlässt und damit den sicheren Aufstieg in die höhere Klasse aufgibt. Solche Wow-Effekte machen diese Doku unbedingt sehenswert. Auch wer mit Fussball absolut nichts am Hut hat, wird begeistert sein. 

Im Vergleich zu den bewegenden Erzählungen eines nachdenklichen Schiedsrichters oder eines begeisterten schwulen Fan-Vertreters wirkt das dumpfe Hoeness-Witzchen umso erbärmlicher. Schlechtes Karma für den Würstchenfabrikanten, von dessen Diskriminierung mit dieser internationalen Doku nun die ganze Welt erfährt.  

Heute Fussballtrainer: Der Brite Matt Morton



Dokumentarfilm von  Manfred Oldenburg. Mit Amal Fashanu, Thomas Hitzlsperger, Peter Tatchell, Collin Martin, Matt Morton, Per Mertesacker, Barak Rafati, Rolf Töpperwien, Marcus Urban, Dario Minden, Tatjana Eggeling, Tanja Walther-Ahrens u.a.

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