Er ist der ewige Geheimtipp: Der menschenscheue Independent-Star Perfume Genius.
So exaltiert sein Künstlername sein mag, so bodenständig ist seine Musik. DISPLAY sprach mit dem geläuterten Anti-Star.
Interview Steffen Rüth Bilder Cody Critcheloe
Lange her, dass Mike Hadreas, der sich als Musiker Perfume Genius nennt, seinem Hang zur Selbstzerstörung frönte. Heute lebt der Mann aus Iowa mit Alan, seinem Gatten und Keyboarder,
in bürgerlichen Verhältnissen in Los Angeles. Den dunklen Gelüsten hat er lange schon entsagt.
Nun veröffentlichte er mit «Glory» sein siebtes Album. Darauf fasziniert er mit einem Querschnitt seines bisherigen Schaffens, mit kunstvollem Rock, Folk, Americana, Synthie-Pop und einer
immer ausdrucksstärker werdenden Stimme.
DISPLAY traf den neuerdings blondierten 43-Jährigen per Zoom am morgendlichen Gartentisch.
Mike Hadreas: Entschuldigung, ich bin ein bisschen nervös.
DISPLAY: Echt? Wegen unseres Interviews?
Ich weiss, wie komisch das wirken muss. Ich mache diesen Job seit fünfzehn Jahren, «Glory» ist mein siebtes Album, und ein Teil von mir weiss, wie das Ganze hier funktioniert. Ich bin auch nicht mehr so überwältigt von menschlichen Kontakten wie zu Anfang, wo es wirklich schlimm war und ich am liebsten den Kopf unten behielt, um niemanden anschauen zu müssen.
Ist Musiker der richtige Beruf für jemanden, der so menschenscheu ist wie du?
Auf der Bühne geht es. Viel besser als früher. Natürlich habe ich immer noch vor jedem Auftritt schreckliche Angst, aber sobald es losgeht, kann ich umschalten. Es hilft mir enorm, dass mein Mann Alan mit auf der Bühne steht, als Keyboarder. Er gibt mir Sicherheit. Aber dennoch: Wenn es jetzt hier an der Haustür klingen sollte, würde ich nicht hingehen, sondern rufen «Alan, die Post».
Du hast deinem Ehemann Alan Wyffels das schöne Pianolied «Me & Alan» gewidmet. Wie lange seid ihr zusammen?
Seit fünfzehn Jahren. Alan ist wirklich mein Engel. Ein absolut herzenslieber Mensch. Er hat mein gesamtes Leben auf den Kopf gestellt, durchweg zum Besseren. Ich war bis in meine Zwanziger ziemlich orientierungslos, trank zu viel, trieb mich rum, nahm Drogen. Ich lebte zu der Zeit in New York und stand auf verlorenem Posten. Alan kennenzulernen, hat mich gerettet. Er hat meinem Leben das Zentrum gegeben.
Seid ihr eigentlich verheiratet?
Mittlerweile ja! Wir sind seit fünfzehn Jahren ein Paar, und vergangenes Jahr haben wir es endlich gewagt. Nach vierzehn Jahren. Und es fühlt sich wirklich magisch an, «mein Mann» sagen zu können. Ich hätte in meinen jüngeren Jahren nie geglaubt, dass ich einmal heiraten würde. Jetzt, da es passiert ist, frage ich mich, warum wir so lange gewartet haben (lacht).
War das mit der Hochzeit eine spontane Idee?
Ja. Ich selbst habe mich gar nicht damit beschäftigt, aber dann fragte Alan letztes Jahr plötzlich an irgendeinem Morgen kurz nach dem Aufwachen, ob ich ihn heiraten möchte. Er hatte Panik wegen Trump und dachte, es sei gut, Fakten zu schaffen und die Beziehung vor dem Gesetz zu festigen. Man muss Trump ja leider alles zutrauen. Klar, wenn er redet, entweicht seinem Mund viel heisse Luft, trotzdem agiert er ja rüde gegenüber allen Menschen, nicht zuletzt queeren, die nicht in sein enges Weltbild passen.
«Man muss Trump leider alles zutrauen. Klar, wenn er redet, entweicht seinem Mund viel heisse Luft, trotzdem agiert er rüde gegenüber allen Menschen, nicht zuletzt queeren, die nicht in sein enges Weltbild passen»
Gehörst du zu den Menschen, die überlegen, die United States zu verlassen?
Nein. Die Regierung Trump ist grauenhaft, aber es gibt auch viele tolle Menschen hier in den USA. Ich lebe in Los Angeles, und als hier ganze Stadtteile abbrannten, halfen die Menschen einander, wo sie nur konnten. Sie sammelten Geld, kochten für die Feuerwehrleute, spendeten Kleidung oder Bücher. Diese überwältigende Herzlichkeit und das Mitgefühl zu sehen, das hat mich wirklich beeindruckt. So viele Menschen sind in Wirklichkeit nämlich viel netter, als man gemeinhin denkt.
Du sagst über «Glory», dass du auf dem Album auch den Aspekt des Älterwerdens als schwuler Mann beleuchten würdest. Wie meinst du das?
Es gibt eine Riesenmenge an kulturellem Anschauungsmaterial über junge Schwule. Bücher, Filme, Theaterstücke, Musik, was auch immer. Über Ältere gibt es weitaus weniger. Ich bin 43, ich fange an, mich sterblich zu fühlen, meine Eltern werden alt, die Sorglosigkeit der Jugend, so ich sie je hatte, ist verschwunden. An ihre Stelle treten andere Erfahrungen. Das Leben macht mit 43 immer noch Spass, die meisten Aspekte sind positiv, aber dass die Unverwundbarkeit nicht mehr da ist, das nagt an mir. Von allen meinen Alben ist «Glory» am stärksten vom Tod besessen.
Hätte der 20-jährige Mike Hadreas einen Tipp für den 43-jährigen?
Ach, besser nicht. Der 20-jährige Mike hätte den 43-jährigen spiessig und angepasst gefunden. Er hätte wahrscheinlich gegen ihn rebelliert (lacht).

Als du dein erstes Album «Learning» rausbrachtest, warst du bereits Ende zwanzig. Was hat die Musik dir gegeben?
Halt und Struktur. Und Lebensfreude. Zu der Zeit hatte ich meinen Entzug hinter mir und fing an, mich besser um mich selbst zu kümmern. Gewissermassen wurde ich damals erst zu so etwas wie einem Erwachsenen. Als Teenager und junger Mann war ich haltlos, ausserdem depressiv. Während ich das erste Album schrieb, kam immer stärker dieser Glaube daran zum Vorschein, dass das Leben auch gut sein könnte. Ich spürte, dass ich ohne das Songschreiben nicht mehr sein wollte. Die Musik hat mich zu einem ausgeglicheneren Menschen gemacht.
Warst du als Junge denn immer traurig?
Nein, das nicht. Aber oft. Ich war ein seltsames Kind. Andererseits, welches Kind ist denn nicht seltsam? Wir sind alle auf andere Weise eigenartig. Ich war jemand, der über absolut hirnlose Comedy lachen konnte und der es liebte, anderen bescheuerte Streiche zu spielen.
«Glory» vereint praktisch alle musikalischen Spielarten, die du auf den vorherigen sechs Alben ausprobiert hast. Ist dir das bewusst?
Ja. Ich führe all die Fäden, die ich über die Jahre gesponnen habe, hier zusammen. Alles, was ich gelernt habe, wollte ich auf «Glory» zeigen. Wobei die Songs und die Ideen natürlich alle neu sind.
Gleich im ersten Stück «It’s A Mirror» setzt du dich damit auseinander, ein erfolgreicher und etablierter Künstler zu sein. Für dein 2017-Album «No Shape» hattest du sogar eine Grammy-Nominierung erhalten. Was bedeutet der Zuspruch für dich?
Mein Selbstvertrauen als Musiker ist gewachsen. Ich weiss, was ich kann, und ich weiss, dass es ein Publikum für meine Songs gibt. Zugleich ist diese Alltagsschüchternheit immer noch da, und sie nervt mich ein wenig. Es ist mir peinlich, dass mein Mann beim Zahnarzt anrufen muss, um für mich einen Termin auszumachen. Ich meine, ich bin doch keine zwölf mehr (lacht).
Wie therapeutisch ist denn das Songschreiben als solches für dich?
Es ist therapeutisch, aber nicht so therapeutisch, dass ich darüber hinaus keine Therapie mehr benötigen würde (lacht). Dieses Leben, das ich heute führe, nüchtern, trocken, gefestigt, in weitgehend geordneten Bahnen, das läuft ein Stück weit meinen Urinstinkten entgegen. Die Therapiesitzungen helfen mir dabei, mich selbst im Zaum zu halten.
In dem Song «No Front Teeth», einem Duett mit der neuseeländischen Songwriterin Aldous Harding, geht es ziemlich wüst zu.
Kein Wunder, denn das Thema des Songs sind meine selbstzerstörerischen Tendenzen (lacht). Die Nummer ist halb ernst, halb Satire. Aldous und ich hatten viel Spass dabei, auch wenn es im Kern um keine spassige Sache geht. Sondern darum, dass du dich komplett wegballerst und eine intensive, stundenlange Unterhaltung mit einer fremden Person führst, die du im nüchternen Zustand nicht einmal grüssen würdest. Aldous Harding verstand sehr gut, worum es mir ging. Wir sind uns echt ähnlich.
Hast du in letzter Zeit noch einmal irgendwas zerstört?
Ach, die bürgerlichen Aspekte meines Daseins gewinnen mehr und mehr die Oberhand. Ich zahle meine Miete, ich liebe meinen Mann, die Drogen rühre ich nicht mehr an, es läuft nicht schlecht. Aber was sich nie ganz reparieren lässt, sind die Drähte im Gehirn, die auf Chaos gepolt sind. Das letzte Quäntchen Wahnsinn wirst du nie aus mir herausbekommen (lacht).
Das neuste Album
von Perfume Genius:
«Glory». Erschienen
bei Beggars.