Schluss mit der Diskriminierung

Swiss LGBTI-Label: Wie steht es um die Gleichberechtigung von LGBTI am Arbeitsplatz?
DISPLAY fragte nach. 

DISPLAY hat mit Prof. Andrea Gurtner vom Swiss LGBTI-Label über Herausforderungen für LGBTI-Personen am Arbeitsplatz und die Kriterien für das Swiss LGBTI-Label gesprochen. Die Wirtschaftspsychologin leitet das Institut New Work der Berner Fachhochschule und beschäftigte sich in ihrer Forschung unter anderem mit Diversity, Equity & Inclusion für LGBTI-Personen am Arbeitsplatz.

Interview Christian Gersbacher

DISPLAY: In den letzten Jahren wurden viele Erfolge für die Gleichstellung von LGBTI-Personen in der Schweiz erreicht. Ist Diskriminierung am Arbeitsplatz für queere Menschen überhaupt noch ein Thema?

Andrea Gurtner: Die Zahlen des jedes Jahr durchgeführten Swiss LGBTIQ+ Panels (Quelle: https://swiss-lgbtiq-panel.ch) zeigen, dass queere Personen immer noch Diskriminierung erleben. Gemäss der Befragung von 2023 sind am Arbeitsplatz immer noch 37% der Angehörigen von sexuellen Minderheiten nicht geoutet und sogar 49% Angehörige von geschlechtlichen Minderheiten. Das lässt vermuten, dass zumindest ein Teil davon sich nicht sicher fühlen würde, falls sie sich outen würden. Angehörige von geschlechtlichen Minderheiten berichten auch deutlich häufiger von erfahrener Diskriminierung. An der Berner Fachhochschule haben wir im Winter eine Befragung zur Situation von queeren Menschen in der Arbeitswelt durchgeführt. Resultate dazu werden im Sommer verfügbar sein. Der sehr hohe Rücklauf von mehr als tausend ausgefüllten Fragebogen zeigt, dass das Thema in der Community sehr relevant ist.

Das Swiss LGBTI-Label wurde 2019 gegründet. Du bist als Gründungsmitglied von Anfang an dabei. Welches waren deine Beweggründe, dich für das Label zu engagieren? 

Als Leiterin des Instituts New Work der Berner Fachhochschule Wirtschaft beschäftige ich mich in meiner Forschung und Lehre mit Diversity, Equity & Inclusion (DEI). Als Member von WyberNet sah ich in der Entwicklung des Labels eine grosse Chance, Unternehmen und Organisationen zu motivieren, eine für LGBTIAQ+-Mitarbeitende offene und inklusive Kultur zu entwickeln und damit queeren Personen ein angstfreies Umfeld zu ermöglichen. 

Was müssen Unternehmen oder Organisationen tun, um mit dem Label ausgezeichnet zu werden? 

Bevor sich Unternehmen oder Organisationen beim Swiss LGBTI-Label bewerben können, müssen sie bereits zentrale Schritte zu einer inklusiven Kultur umgesetzt haben. Ausgangspunkt ist oft die Entwicklung eines Diversity, Equity & Inclusion-Leitbildes oder einer Strategie, die auch auf LGBTIAQ+ fokussiert. Daraus können dann konkrete Massnahmen insbesondere in den Bereichen Personal abgeleitet werden, beispielsweise zum Schutz vor Mobbing und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität oder Geschlechtsmerkmalen. Zentral ist dann die Umsetzung von Massnahmen wie die Formulierung von Prozessen zur Begleitung von Transitionen oder zur Gleichstellung von Regenbogenfamilien. Wenn sich eine Organisation für das Swiss LGBTI-Label bewirbt, überprüfen wir in einem standardisierten Prozess mittels eines Fragebogens und den eingereichten Nachweisen, ob die erforderliche Punktzahl für die Auszeichnung mit dem Swiss LGBTI-Label erreicht wurde. 



Neben der Zertifizierung – was bietet das Swiss LGBTI-Label den Unternehmen und Organisationen, die mit dem Label ausgezeichnet wurden? 

Ausgezeichnete Unternehmen erhalten einen umfangreichen Bericht, der ihnen auch weitere Entwicklungsbereiche aufzeigt. Daneben bieten wir Informationsanlässe online und vor Ort sowie Events zu Austausch und Networking an. Im Zentrum steht dabei der jährliche Vergabeevent in der Pride-Woche, zu dem alle ausgezeichneten Unternehmen und Organisationen eingeladen sind.

Welches sind die aktuellen Themen im Bereich Diversity-Management für LGBTI-Personen, die viele Unternehmen und Organisationen beschäftigen? 

Durch die rechtliche Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Paaren hat sich der Fokus stärker auf Massnahmen im Bereich von geschlechtlichen Minderheiten verlagert. Grundsätzlich bleibt allerdings die Schaffung und Aufrechterhaltung einer inklusiven und offenen Kultur, Chancengleichheit und Massnahmen zur Verhinderung von Mobbing und Diskriminierung ein Dauerthema, gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Diskussion – Stichwort Backlash. Auch im Bereich Umgang mit Trans* und Inter* Personen gibt es für viele Unternehmen noch viel Informationsbedarf. 

Mit einem Label ausgezeichnet zu werden, ist erst einmal eine gute Sache. Was entscheidet letztlich darüber, ob es in einem Unternehmen oder einer Organisation wirklich gelingt, queere Menschen gleichberechtigt zu akzeptieren? 

Es braucht einerseits ein klares Bekenntnis zu Massnahmen zur Inklusion von queeren Mitarbeitenden von der Unternehmensspitze, umgesetzt in klare Forderungen, bis zu Jahreszielen an die Führungspersonen auf jeder Stufe, begleitet von entsprechenden Schulungsangeboten und konkreten Massnahmen in der Umsetzung. Und dann natürlich ein DEI-Monitoring, das die Umsetzung und deren Ergebnisse auch jährlich überprüft. Die Überprüfung und Auszeichnung mit dem Swiss LGBTI-Label leistet dazu einen Beitrag.

Welche Projekte habt ihr für die Zukunft mit dem Swiss LGBTI-Label geplant?  

Wichtig wird in Zukunft der Ausbau von Angeboten zum Austausch und zur Vernetzung der ausgezeichneten Organisationen sein. Ebenso wichtig wird sein, auch für Familienbetriebe und KMU attraktive Angebote zu entwickeln, um diese noch vermehrt ansprechen zu können. Wir erhalten klare Rückmeldungen, dass hier ein Bedarf besteht.  


Qualitätssiegel

Das Swiss LGBTI-Label wurde 2019 gegründet und ist ein Qualitätssiegel für Unternehmen und Organisationen mit Sitz in der Schweiz, die sich für die innerbetriebliche Gleichberechtigung
von LGBTI-Personen einsetzen. Es wurde von Schweizer LGBTI-Dachverbänden
in Zusammenarbeit mit führenden Unternehmen und Organisationen entwickelt. 

Infos: lgbti-label.ch