Streamst du noch oder scrollst du schon?

Hollywood und gleichzeitig Handy, ein absolutes No-Go! Welche Streaming-Regeln ab sofort auf der heimischen Couch gelten und warum du mir dafür danken wirst.

Kolumne von Frank Richter

Das Experiment ist gescheitert. 1788 erschien die erste Ausgabe von Adolph Freiherr Knigges Buch «Über den Umgang mit Menschen». Eine Anstandsfibel, dank deren Regeln das Zusammenleben harmonischer vonstatten gehen sollte. Mehr als 200 Jahre später müssen wir uns als Menschheit eingestehen, dass es nicht funktioniert hat. Anstand bedeutet 2025, Sprachnachrichten auf 60 Sekunden zu reduzieren oder kurz vorm Red-Bull-Rülpser in der vollen S-Bahn den Kopf noch in Richtung Fenster zu drehen. Gute Manieren sind wie Cher: praktisch tot.  

Allerdings kannst du etwas gegen den Sittenverfall unternehmen, zumindest auf deiner Couch. Denn auch beim Streaming gilt es, die Höflichkeitsregeln zu beachten, damit der Abend für alle Beteiligten ein Erfolg wird. 

1. Handyverbot

Kurz Instagram checken während des Films? Noch ne WhatsApp beantworten, während Emily durch Paris schlendert? Ich glaube, es hackt! Hollywood hat sich doch nicht den Arsch aufgerissen, damit du während des Blockbusters gleichzeitig Fotos auf Grindr lädst. Wenn du Formate suchst, die als «Hintergrundberieselung» funktionieren, während du am Handy rumspielst, dann guck die Kardashians oder Love Island. Während des Filmgenusses kommt das Telefon gefälligst in einen anderen Raum! Messages abarbeiten kannst du während der Toilettenpause. 

2. Die Lasagne-Regel

Eine Lasagne kannst du maximal 3-5 Tage im Kühlschrank aufbewahren. Okay, in WGs vielleicht auch 10. Jedenfalls muss die danach weg. Genau gleich handhabt es sich mit Serien, die man als Paar begonnen hat zu gucken. Wenn deine bessere Hälfte innerhalb von 3-5 Tagen keine Zeit findet, mit dir weiterzuschauen, hast du zwei Möglichkeiten. 1: Du schaust allein weiter. 2: Ihr gebt die Serie gemeinsam auf. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass allein weiterschauen teilweise zu Konflikten führt. Falls du keine Lust auf Diskussionen hast, einfach mit dem Account einer Drittperson weiterschauen und kein Wort darüber verlieren. 

3. Halt deine Fresse

Nichts ist schlimmer, als Menschen, die während des Streamens die ganze Zeit labern. «Oh, hat die nicht bei ‘The Crown’ mitgemacht?» «Warum läuft sie nicht einfach durch die Hintertür?» «Also, wenn ich sie wäre, würde ich den blonden Typen nehmen.» Du bist aber nicht sie, also halt die Schnauze, Regula. Falls du Fragen zum Plot hast, stell alle, bevor du auf Play drückst. Ansonsten gilt: Die nächsten 45 Minuten herrscht hier so was von Silencio. 

4. Auswahl in 10 Minuten

Spotify beinhaltet mehr als 100 Millionen Musiktitel. Trotzdem kenne ich niemanden, der 30 Minuten durch das Angebot scrollt, dann aufgibt, weil es schon spät ist und beschliesst, ins Bett zu gehen. Warum fällt es uns so schwer, bei Netflix und Co. etwas auszuwählen? Ist es tatsächlich die Angst, etwas noch Besseres zu verpassen? Oder wollen wir uns vom Algorithmus nicht vorschreiben lassen, was wir zu gucken haben? Wie dem auch sei, ich habe es satt, den ganzen Abend nur Trailer zu gucken und dann ins Bett zu hüpfen. Innerhalb von 10 Minuten wird was ausgewählt, ansonsten gibt es zur Strafe lineares Fernsehen. 

5. Mindestens eine Folge

Die Erzählstruktur ist zäh? Innerhalb der ersten Minuten passiert nichts? Klar, wir sind hier nicht auf TikTok! Gewisse Drehbücher nehmen sich halt etwas Zeit, um die Figuren zu etablieren. Als
reguläres TV noch eine Relevanz hatte, besassen wir die Geduld dafür. Die amerikanische Version von «The Office» zum Beispiel, die macht erst ab der zweiten Staffel richtig Spass. Die ersten Paar Minuten von «Friends» sind eine Katastrophe. Die erste Folge «Schitt’s Creek»? Allerhöchstens mittelmässig lustig. Aber wie sich die Serien dann im Verlauf der Staffeln entwickeln, leck’o’mio, das ist Entertainment. Also gib deiner neuen Sitcom mindestens eine Folge, bevor du den Bettel hinschmeisst. Falls du extrem ungeduldig bist, guck das Ding halt in doppelter Geschwindigkeit. 

Du wirst sehen, wenn du Serien zweite Chancen gibst, belohnen sie dich dafür. Und wenn sie es doch nicht tun, musst du sie im Gegensatz zum Date noch nicht mal ghosten. Also husch, nächste Folge startet in 3, 2, 1…   

Frank Bond

Frank Richter ist Autor, Comedian und Moderator.
Zurzeit ist er mit seinem Comedy-Soloprogramm
«Alles auf Schwarz» schweizweit unterwegs. 

Dieses Programm plädiert für einen schwulen 007,
bekämpft endlose Meetings und setzt sich mit
dem Humorverständnis von Jesus auseinander. 

Daten: frankrichter.ch