Michael Flügger hat im bernischen Diplomatenviertel fünf Jahre lang sein Land vertreten. Immer an seiner Seite war auch sein Schweizer Mann. In diesen Tagen verlässt das Paar die Bundesstadt. Vor dem Abgang besuchte DISPLAY das Diplomaten-Couple.
Text Mark Baer | Bilder Raphael Hadad
Es ist ein prachtvolles und edles Haus, das seit 1912 im Süden der Stadt Bern steht. Das herrschaftliche Gebäude wurde auf direkten Auftrag von Kaiser Wilhelm II. gebaut. Hier, streng bewacht, inmitten von repräsentativen Villen, von denen viele als Botschaften dienen, wohnt seit 2020 der deutsche Botschafter Michael Flügger mit seinem Ehemann. Nun nimmt der Diplomat seinen Hut. Grund ist der «Eintritt in den gesetzlichen Ruhestand», wie es auf Amtsdeutsch heisst. Flügger wird in diesem Jahr 66 Jahre alt und hat aus diesem Grund einen Erlass erhalten, der ihn auf den 30. Juni offiziell in den Ruhestand versetzt hat.
Seit seinem Eintritt in den Dienst vor 37 Jahren habe er gewusst, dass dieser Tag einmal kommen würde. «Da gibt es jetzt kein Zurück mehr», sagt der Noch-Botschafter bei unserem Besuch im Garten-Saal der geräumigen Villa schmunzelnd.
Die letzten Tage vor der Beendigung seines Engagements hier in der Schweiz haben er und sein fünf Jahre jüngerer Ehemann Michaël Paul Trachsel-Flügger den persönlichen Hausstand reduziert und aussortiert. Es sei so, wie wenn er den nächsten Posten irgendwo in einem anderen Land antreten würde. «Doch jetzt kommt langsam im Kopf an, dass nun bald wirklich Schluss ist und der Ruhestand folgt.»
Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an
Der Hit von Udo Jürgens aus dem Jahr 1977 «Mit 66 Jahren» sei nun sein Motto. Damals habe er zwar noch gedacht, dass es sich um ein Lied für seine Eltern handle. «Jetzt plötzlich ist es also ein Song für mich», sagt der 1959 in Wien Geborene lachend.

Deutsch-Schweizerische Freundschaft: Michael Flügger und sein Mann Michaël Paul Trachsel-Flügger.
Als erstes haben die Flüggers nur kurzzeitige Pläne. Die beiden wollen ihre Wohnung in Berlin wieder aufmachen und gleich auch noch etwas renovieren. Michaël Paul, oder «Mika», wie ihn der Botschafter nennt, ist im Wallis als Innendekorateur und Hoteleinrichter tätig. Dort haben die beiden auch ein Chalet, das ebenfalls wieder etwas hergerichtet werden muss. Dann will sich Michael Flügger auch um seinen betagten Vater in Hamburg kümmern und danach «mal gucken, was kommt».
Eine 100%-Aktivität für den deutschen Staat schliesst er gegenüber DISPLAY aber aus. «Aber vielleicht gibt es ja hie und da ein Projekt, bei dem ich mithelfen kann.» Auch ein Teilzeit-Engagement in der Privatwirtschaft könne er sich vorstellen.
Schweizer Highlights
Gestartet hat Botschafter Flügger sein letztes Engagement für die Bundesrepublik Deutschland hierzulande während Corona. Das Schönste für ihn war, als die Massnahmen vorbei waren und er wieder Menschen kennenlernen konnte, mit denen er bei seinem Amtsantritt nur per Telefon kommunizierte. Er verrät, dass er in dieser Zeit gelegentlich Gäste in seine Residenz einlud, mit denen er sich in drei Meter Abstand beim Dinner lauthals über den Tisch unterhielt. «Es war eine Möglichkeit für mich, auf diese Art die Leute kennenzulernen.»
Noch heute begegnet der 65-Jährige gerne Menschen. Das Reisen und das Kennenlernen von Individuen bezeichnet er als Highlight seiner Zeit hier in der Schweiz. Angetan ist er von den Kantonen, die so unterschiedlich seien, obwohl alle eher klein sind und dicht beieinander liegen. «Jeder Kanton hat seine eigene Charakteristik», schwärmt er. Die Schweiz sei ungefähr so gross wie Baden-Württemberg, aber das deutsche Bundesland sei nicht annähernd so vielfältig wie die Schweiz.
Un amour à Genève
Die Liebesgeschichte der Flüggers begann 1993 in der Schweiz. Michaël Paul stammt aus Genf und hat dort mit 28 Jahren seinen heutigen Mann kennengelernt. Michael Flügger war zu dieser Zeit auf seinem ersten Auslandsposten in Genf als junger Diplomat, im Alter von 33, zuständig für das Thema Menschenrechte in der deutschen Ständigen Vertretung bei den Vereinten Nationen.
«Ich dachte eigentlich immer, dass ich die Schweiz kenne, habe aber nicht gemerkt, dass ich immer die Brille der Romandie trug», erzählt er.
Erst seit er seine Funktion als Repräsentant Deutschlands hier in der Schweiz übernommen hat, habe er die ganze Schweiz und ihre Unterschiedlichkeit so richtig kennengelernt.
«Ich dachte, hier sei alles viel harmonischer»
Überrascht hat den Bald-Pensionär die zunehmende Polarisierung in der Politik. Diese sei in der Schweiz fast so ausgeprägt wie in Deutschland. «Ich dachte, hier sei alles viel harmonischer.» Dies hänge sicherlich auch mit der Konkordanz-Regierung zusammen, die ein ganz anderes öffentliches Bild abgebe als die Koalitionsregierung in Deutschland. Der politische Diskurs sei aber auch in der Schweiz heutzutage bisweilen scharf.
Am Anfang habe er die «Arena» im Schweizer Fernsehen geschaut und aufgrund des «Schwiizertütschs» kein Wort verstanden. Als er es dann mit Untertiteln versucht habe, nützte dies nichts, weil immer alle gleichzeitig miteinander gesprochen hätten. «Inzwischen kann ich – sagen wir mal – 95 Prozent verstehen und den Diskussionen folgen.» Und den Schlagabtausch in der Schweiz empfinde er schon als ziemlich hart, betont er noch einmal.
Als deutscher Botschafter musste Flügger in den vergangenen fünf Jahren immer wieder mal eine steife Brise aushalten. «Egal, was ich gesagt habe, alles wurde häufig erst einmal negativ aufgenommen.» Das fand er verblüffend und hat ihm schon am Anfang gezeigt, dass ein deutscher Botschafter von der Deutschschweizer Gesellschaft extrem sensibel und kritisch beäugt wird. Wenn er in den Medien in der Romandie aufgetreten sei, habe ihn nie Kritik aus der welschen Bevölkerung getroffen.
Deutsch-Schweizer Besonderheiten
Als Staatsbürger:in aus Deutschland muss man hierzulande offenbar generell eine etwas dickere Haut haben, wenn man den Worten von hier lebenden Menschen aus dem grossen Kanton glaubt. Hat das vielleicht auch mit der schieren Menge an Personen von ennet dem Rhein zu tun? (siehe Box oben)
Flügger erklärt gewisse Schweizer Vorbehalte gegenüber den Deutschen vor allem mit der Geschichte. Ein weiterer Punkt sei sicher auch der völlig unbegründete Minderwertigkeitskomplex, was die Sprache angeht. Weiter habe man, wenn man Deutschschweizer Medien konsumiere, das Gefühl, dass man sich hierzulande pausenlos an Deutschland abarbeiten würde. So sei das nördliche Nachbarland immer der Bezugspunkt. «Dabei wäre ein Vergleich mit Österreich, den Niederlanden oder Schweden sinnvoller.» Schliesslich würde sich die Romandie auch nicht ständig mit Frankreich vergleichen, führt der Hamburger weiter aus.
In Deutschland handkehrum sei das Schweiz-Bild komplett positiv besetzt. «Viele träumen davon, hier zu leben und denken konstant an Heidi, Schokolade und ich weiss nicht was.»
Ein Hauptthema während seines Engagements in Bern waren die bilateralen Verträge zwischen der EU und der Schweiz, weil Deutschland der wichtigste Wirtschafts- und Wissenschaftspartner Helvetiens ist. «Deutschland verhandelt die Verträge zwar nicht, aber wir haben uns bemüht, manchmal zu vermitteln.» So habe Flügger immer wieder versucht, Einfluss auf die EU-Kommission im Sinne der Schweiz zu nehmen. «Wir möchten, dass die Verträge wirklich ratifiziert und dann in Kraft gesetzt werden.»
Kein besonderer Titel für den Partner
Die beiden Michaels sind seit 2009 verpartnert und haben diesen Status zehn Jahre später dann in eine Ehe umwandeln lassen; so gilt die Verpartnerung gesetzlich auch rückwirkend genauso, als seien sie nun bereits seit 16 Jahren miteinander verheiratet.
Im Kirchenfeld-Brunnadern-Quartier waren die Flüggers längst nicht die einzigen Gays. Immer wieder gibt und gab es andere Ländervertretungen mit einem queeren Botschafter. Neben den USA waren dies in den letzten Jahren auch Finnland und Frankreich.
Die Frau des Herrn Doktor wurde früher oft mit «Frau Doktor» angesprochen. Solch eine Bezeichnung oder gar einen «First-Lady»-Titel gibt es für Partnerinnen respektive Partner von Botschafter:innen nicht. Auch die Diplomatie habe sich enorm gewandelt in den letzten Jahren, sagt der zum Zeitpunkt des Interviews Noch-Botschafter im DISPLAY-Interview.
Die fast höfischen französischen Formen seien heute nur noch alte Zöpfe. Diese habe er nur ganz am Anfang seiner Karriere noch erlebt. «Heute sind wir einfach ‘Funktionsträger’ oder anders gesagt ‘Beamte’.» Im offiziellen Sprachgebrauch heisse es aber manchmal noch immer «Seine Exzellenz, der Botschafter von Deutschland».
«Leute, die mich kennen, sprechen mich aber mit dem Nach- oder Vornamen oder mit ‘Herr Botschafter’ an.» Für seinen Mann Michaël gab es keinen Titel. Die Ehegattinnen würden nicht mit «Frau Botschafterin» oder ähnlichem angesprochen. Gleiches gilt auch für die männlichen Partner.
Keine Probleme aufgrund der Queerness
Michaël Paul Trachsel-Flügger war während der Amtszeit seines Ehemannes immer wieder an offiziellen Anlässen mit dabei. So waren die beiden beispielsweise einmal an eine Gartenparty der Queen während Flüggers Zeit in London eingeladen. Die zwei queeren Eheleute hätten in all den Jahren, in denen Flügger für den deutschen Staat neben London auch in Brüssel und Berlin tätig war, von niemandem Ablehnung erfahren.
«In jedes Land hätte ich mich jetzt wahrscheinlich nicht hin versetzen lassen wollen, aber hier in der Schweiz war das überhaupt kein Problem.»
Am Anfang habe man es sich schon überlegt, wie öffentlich man ihre Homosexualität machen wolle, «aber der gesellschaftliche Fortschritt hat uns hier auch Rückenwind gegeben», sagt Flügger lachend.
Ihre Exzellenz und Ehefrau…
Immer wieder sei es in den Jahren auch zu lustigen Situationen gekommen. Beispielsweise, wenn es auf der Einladung zu einem offiziellen Empfang hiess «Gerne laden wir Ihre Exzellenz, Herrn Michael Flügger und Ehefrau ein». Wenn dann zwei Männer aufgetaucht seien und Michaël Paul nicht im wallenden Kleid erschienen sei, konnten alle darüber lachen. Auch an einem Neujahrsempfang im Königshaus in Brüssel habe man den Herold, der die Gäste lauthals ankündigt, gerade noch rechtzeitig orientieren können, dass Botschafter Flügger mit seinem Ehemann und nicht mit einer Gattin auf dem Parkett aufschlage.

Fashion-affiner Gatte
Vor seiner Selbständigkeit als Innendekorateur und Wohnberater war Mika 18 Jahre als Store Manager bei Gucci in Berlin tätig, davor arbeitete der heute 60-Jährige für die Benetton-Gruppe oder auch für das Modeunternehmen Lanvin.
In der Botschaftsresidenz war Michaël Paul in den letzten fünf Jahren neben der Innendekoration und dem Garten auch für andere Haushaltsaufgaben zuständig. So hat er immer wieder Dinners und Lunches ausgerichtet und mit dem Koch Menüvorschläge diskutiert. Essen zubereiten müssen die zwei in Zukunft nun selber, ganz ohne Koch.
Michaël als Tür- und Herzensöffner
Der Genfer hat für die deutsche Botschaft aber auch sonst immer wieder unterstützend eingegriffen. Wenn seine Exzellenz als Norddeutscher jeweils irgendwo aufgetreten sei, habe er immer wieder sagen können; «Übrigens habe ich hier noch meinen Schweizer Mann mitgebracht». Dies habe dann – wahrscheinlich auch wegen Mikas französischem Akzent – immer wieder irgendwie die Herzen erwärmt und die Türen vielleicht etwas mehr geöffnet.
Beim Interview in der Residenz standen neben Blumen und Gebäck, verschiedenen Gläsern und Tassen auch zwei Krüge auf einem Beistelltischchen bereit; einer mit heissem Wasser und der andere mit Kaffee. Dies sei noch quasi ein Relikt aus Merkel-Zeiten, verrät der parteilose Botschafter. Bei seinem Vorstellungsgespräch bei der Bundeskanzlerin in Berlin hätten vor vielen Jahren auch zwei solche Krüge gestanden. «Da kam also keine Sekretärin mit einer Tasse reingeschwebt, sondern Frau Merkel hat den Kaffee selber eingeschenkt.»
Wann immer es in der Botschaftsresidenz in Bern in den letzten fünf Jahren um haushaltliche Dinge ging, überliess seine Exzellenz alles seinem Gatten. «Mein Mika hat in diesem Haus wirklich viel mitorgansiert», sagt er voller Dankbarkeit. Michael Flügger selber hätte dies – nach eigenen Angaben – so nicht hingekriegt. Er hätte ohne die Hilfe seines Mannes alles den Angestellten überlassen. «Die hätten das sicher gut gemacht, aber es wäre dann einfach etwas weniger persönlich gewesen.»