Polens Community wehrt sich

Polen ist ein Land voller Vielfalt und Überraschungen. DISPLAY hat einige besondere Regionen des viertgrössten Landes Europas erkundet – und dabei spannende Einblicke in die queere Community gewonnen.

Von Mathias Steger

Unterwegs mit dem Mountainbike in der Glacensis-Region


Biker unterwegs in der Glacensis-Region.

Der Aufenthalt in Polen beginnt in einer ländlichen, landschaftlich besonders reizvollen Gegend nahe der tschechischen Grenze: in der Bike-Region Glacensis. Das Herzstück der Bike-Region ist das Singletrack Glacensis-System mit etwa 250 Kilometern an Trails. Rund um den Ort Srebrna Góra erstreckt sich ein weit verzweigtes Netz an Bike-Trails für alle Schwierigkeitsstufen.

Bei den abwechslungsreichen Biketouren geht es durch sanfte Hügel, üppige Wälder, aber auch durch steinige Tracks. Immer wieder führt es vorbei an aussergewöhnlichen Aussichtspunkten oder speziell errichteten Aussichtstürmen. Einige Routen führen ins benachbarte Tschechien. Insgesamt können in der Region bis zu 400 Höhenmeter überwunden werden.

Hier geht’s zur Singletrack Glacensis-Seite

Einer der treibenden Kräfte hinter diesem Glacensis-Bike-Projekt ist Marek Janikowski. Er war früher Bürgermeister des kleinen Orts Stoszowice und engagiert sich mit viel Herzblut für den Ausbau und die Erhaltung der Bike-Routen in der Region. Er betreibt in Srebrna Góra ein einladendes Trail-Zentrum mit Verleih, Servicemöglichkeiten und eigenem Food Truck. Das Team ist bei der Planung der verschiedenen Routen und Transfers zu den verschiedenen Trails behilflich.

Morgenstimmung in der Stadt Srebrna Góra.

Zu den Trails kommen mehrere Bikeparks und ein stetig wachsendes Angebot an Infrastruktur – von Verleihstationen und Reparaturmöglichkeiten bis hin zu bike-freundlichen Unterkünften. Eine davon ist das kleine Guesthouse «Trzy Morza». Mit viel Liebe zum Detail betreiben Dorota und Wawrzyniec das geschmacksvoll eingerichtete und renovierte historische Gebäude, in dem einst deutsche Zöllner untergebracht waren und verwöhnen die Gäste mit grösstenteils selbstgemachten Köstlichkeiten. Die Unterkunft liegt mitten in der Natur, sodass man das Gefühl hat, direkt im Wald zu sein. Von hier reicht der Blick zum Berg Trójmorski Wierch, von dem das Wasser in drei verschiedene Meere fliesst: das Schwarze Meer, die Nordsee und die Ostsee.

Ankunft im Guesthouse «Trzy Morza».

Auch die Willa Spa Scaliano im Kurort Kudowa-Zdrój begrüsst gerne Gäste auf zwei Rädern. Neben dem sportlichen Angebot hat auch die Region selbst einiges zu bieten: Sehenswert ist unter anderem die Festung in Srebrna Góra. Auch Kłodzko, der grösste Ort der Region, lädt zu einem Spaziergang ein, um die Altstadt und die Ruinen der Festung zu entdecken.

Zudem warten Thermenorte wie Lądek-Zdrój oder Międzygórze mit heilenden Quellen und historischen Gebäuden auf. Die Bike-Region Glacensis ist eine gute Kombination aus Sport, Natur und Kultur. Marek und sein Team werden sich weiterhin engagieren, um die Region als erstklassige Bike-Destination zu etablieren.

Breslau: Kulturelles und wirtschaftliches Zentrum

Knapp zwei Stunden von der Bikeregion Glacensis befindet sich die Grossstadt Wrocław (Breslau auf Deutsch). Mit rund 700’000 Einwohner:innen ist sie die Hauptstadt der Region Niederschlesien und als drittgrösste Stadt des Landes ein wichtiges kulturelles und wirtschaftliches Zentrum.

Dass Wrocław bis zum Zweiten Weltkrieg zu Deutschland gehörte, ist auch heute noch an der Architektur erkennbar. Ganz besonders deutlich wird dies bei einem Besuch des «Rynek». Der mittelalterliche Marktplatz in Wrocław und erinnert mit der Gebäudearchitektur an deutsche Städte.

Der Marktplatz in Breslau.

Ein Grossteil der Stadt wurde – wie leider so oft in Polen – im Zweiten Weltkrieg zerstört, die Altstadt wurde jedoch originalgetreu wieder aufgebaut. Sie ist heute eine beliebte Fussgängerzone mit sehenswerten Bürgerhäusern, die zum Flanieren einlädt und Treffpunkt für Einheimische wie Gäste gleichermassen ist. Zu sehen gibt es dort unter anderem das Alte Rathaus und mehrere Kirchen.

Wrocław liegt am Fluss Oder und ist berühmt für seine zahlreichen Brücken und Inseln. Bei gutem Wetter spielt sich das Leben vor allem entlang der Lokale, Parks und Sitzgelegenheiten am Wasser ab. Besonders schön ist ein Spaziergang zur ganz in der Nähe gelegenen Dominsel. Dort ist der Ausblick vom Turm der Kathedrale auf die Altstadt und die Oder beeindruckend.

Putzige kleine Kerle

Und dann gibt es noch ganz besondere kleine Helden in der Stadt: die Zwerge von Wrocław. Die kreativ gestalteten kleinen Skulpturen aus Bronze sind überall in der Stadt verteilt und bringen immer wieder mal zum Schmunzeln.

Breslaus queere Szene

Die Stadt ist eine bekannte Universitätsstadt und rühmt sich, einer der tolerantesten und offensten Orte Polens zu sein. Das bestätigt auch Rafal Paulina (im Bild rechts). Der 42-Jährige ist in Wrocław geboren und aufgewachsen. «Wrocław hat kreative Energie, eine spannende Geschichte – und eine wachsende queere Szene», freut er sich. Und er verrät uns für den Besuch in Wrocław einige seiner Lieblingsplätze:

  • «Ich verbringe gerne Zeit in der Neon Side Gallery. Sie beeindruckt mit ihren vielen Neonlichtern und gilt als das queere Viertel mit einigen gay-friendly Locations.
  • Im Sommer ist die Strandbar Odra Pany ein cooler Treffpunkt.
  • Wer lieber Kaffee mag, dem empfehle ich Mleczarnia oder Karavan.
  • Und für alle, die Action suchen, ist Cactus eine Cruising-Bar mit speziellem Charme.

Neben dem Nightlife liegt Rafał besonders das Engagement für die Community und Inklusion am Herzen. «Ich bin an der Organisation des LGBT+ Film Festival – des grössten queeren Filmfestivals in Mittel- und Osteuropa, beteiligt. Ausserdem unterstütze ich bei der Organisation des Wrocław Equality March, der jeweils Anfang Juni stattfindet, und engagiere mich an Proud@Work, einem Netzwerk, das queere Mitarbeitende aus verschiedenen Unternehmen zusammenbringt», erzählt er.

Besonders freut sich Rafał darüber, dass sein Arbeitgeber kürzlich mit dem Polish Diversity Award in der Kategorie LGBT+ ausgezeichnet wurde – auch dank seines persönlichen Engagements für ein offenes und inklusives Arbeitsumfeld.

«Und noch was: Einer der Wrocławer Zwerge ist schwul und heisst Rowniczek», schmunzelt Rafał abschliessend.

Ostseestimmung in Danzig und Umgebung

Hafenstadt Danzig mit dem Krantor direkt am Wasser.

Nächster Halt ist an der Ostsee, ganz im Norden Polens. Genauer gesagt in Danzig. Mit ihrem grossen Seehafen gilt die Stadt als wichtigste Hafenstadt des Landes. Der Zweite Weltkrieg hat auch Danzig stark geprägt. Er begann in unmittelbarer Nähe der Stadt, als die deutsche Wehrmacht 1939 die Westerplatte – eine polnische Wehranlage an der Danziger Bucht – angriff. Heute erinnert an diesem historischen Ort mit Panoramablick ein Denkmal an die tragischen Ereignisse. Ähnlich wie in Wrocław wurde auch in Danzig die Altstadt im Zweiten Weltkrieg schwer beschädigt. Ein Teil davon wurde originalgetreu wiederaufgebaut, während in anderen Stadtteilen moderne Gebäude und Grünflächen entstanden sind. Die prachtvollen Häuser entlang des Flusses Motława, die vielen Brücken und die Boote sorgen für hanseatisches Flair. Besonders beeindruckend sind die Kaufmannshäuser am Langen Markt und in der Langen Gasse.

Wichtiges Wahrzeichen ist das aus Backstein und Holz errichtete Krantor direkt am Wasser. Über eine Brücke gelangt man auf die Speicherinsel, von der sich ein besonders guter Blick auf die Altstadt bietet. Einziger Wermutstropfen in dieser sehenswerten Stadt: Gay-friendly Lokale oder Bars sucht man hier aktuell leider vergeblich. Nicht nur die Stadt selbst ist einen Besuch wert, sondern auch die Umgebung. So bietet sich ein Ausflug mit dem Velo in Richtung Ostsee an. Die Route führt von der Stadt hinaus zum Meer, und ein Grossteil des Weges verläuft nur wenige Meter vom Strand entfernt. Alle paar Meter laden kleine Wege zum Sand und ans Wasser oder gemütliche Lokale zu einer Pause ein. An mehreren Orten gibt es frisch geräucherten Fisch – eine regionale Spezialität.

Die Strecke führt vorbei am mondänen Ort Dolny Sopot mit seinem bezaubernden Steg bis nach Gdynia. Möwen und das Rauschen des Wassers sorgen für maritime Stimmung. Die überwiegend moderne Stadt ist besonders bei Studierenden beliebt – entsprechend gross ist die Auswahl an Cafés, Restaurants und stylischen Lokalen. Urbanes Feeling und ein übergrosser Regenbogen in der Hauptstadt Warschau.

Mondänes Warschau

Ein Besuch der Hauptstadt Warschau darf bei keinem Polen-Besuch fehlen. Gleich bei der Ankunft spürt man, dass es sich um eine ziemlich grosse, internationale Stadt handelt: Moderne Hochhäuser, breite Boulevards und eine multikulturelle Atmosphäre prägen das Stadtbild. Warschau wurde im Zweiten Weltkrieg fast vollständig zerstört – 90 % der Gebäude lagen 1945 in Trümmern. Umso beeindruckender ist es, wie die Menschen hier die Altstadt rund um den Schlossplatz und das Königsschloss originalgetreu wiederaufgebaut haben – heute ein UNESCO-Weltkulturerbe.

Monumentales Wahrzeichen: Der Kulturpalast in Warschau.

Bei einem Spaziergang durch verschiedene Stadtteile findet man immer wieder Mahnmale zur Geschichte bzw. Mauerreste des ehemaligen jüdischen Ghettos. An die frühere Verbindung zur ehemaligen Sowjetunion erinnert vor allem der monumentale Kulturpalast in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs. Wie ein Riese ragt der nüchterne sowjetische Prunkbau als eines der Wahrzeichen der Stadt in den Himmel, den er sich heute mit modernen Hochhäusern und prächtigen Hotelbauten teilen muss. Auf der Aussichtsterrasse kann man sich einen Rundumblick auf die Stadt verschaffen. Da hier alles flach ist, reicht die Sicht umso weiter.

Delikatessen im Teig: Pirogi.

Ein Satz zum Essen: Pirogi dürfen bei einem Polen-Besuch auf keinen Fall fehlen. Die polnische Version der Teigtaschen gibt es unter anderem in den Milch-Bars (Bar Mleczny). Dabei handelt es sich sozusagen um Fast-Food-Restaurants, wo es neben Pirogi eine gute Auswahl an typischen Speisen wie Fleischgerichte mit Kraut, Randen-Suppe oder Kohlrouladen gibt. Und in den meisten Fällen schmeckt es ziemlich gut.

Snacks: Fisch in allen möglichen Variationen.

In Warschau erzählt Linus Lewandowski einiges über seine Stadt und über die Gay-Community des Landes. Der 33-Jährige wurde in Warschau geboren und hat hier den Grossteil seines Lebens verbracht. Er hat 2019 die Einrichtung «Homokomando» gegründet. Was anfangs als Sport-Vereinigung begann, ist mittlerweile zu einer wichtigen LGBTQ+-Organisation im Land geworden, die sich für Queer-Rechte und Gleichberechtigung in Polen einsetzt. «Wir wollen die Regierungen mit unseren Protesten und Kampagnen unter Druck setzen, sich mehr für die Rechte der Community einzusetzen. Es gibt zwar einige Gesetze gegen Diskriminierung im Land und die Gesellschaft hat sich weiter in Richtung Toleranz entwickelt, aber uns fehlen noch wesentliche Rechte», erklärt Linus. Er bedauert, dass die politische Situation im Land ziemlich prekär ist. «Einerseits haben wir eine einigermassen tolerante und offene Regierung, andererseits haben wir aber seit Kurzem wieder einen rechten Präsidenten. Dieser hat bereits bekundet, dass er bei allen Gesetzen für mehr Queer-Rechte und Toleranz von seinem Vetorecht Gebrauch machen wird». So werde es auch in den nächsten Jahren keine Ehe für alle oder das Adoptionsrecht für gleichgeschlechtliche Paare in Polen geben.

Widerstand mit dem Regenbogen

Symbol für den Widerstand ist ein Projekt, das Linus besonders am Herzen liegt: der Regenbogen am Erlöserplatz (Plac Zbawiciela). «Dieser Regenbogen aus Plastikblumen wurde mehrere Male von homophoben Menschen verbrannt. Nun haben wir Geld gesammelt und die Unterstützung erhalten, um dort einen dauerhaften übergrossen Regenbogen aus Metall aufzustellen», ist Linus zuversichtlich.

Für einen aussergewöhnlichen Aufenthalt in Warschau gibt Linus ein paar Tipps.

  • Besonders hält sich Linus gerne in der Nähe des Flusses Weichsel unterhalb der Altstadt auf und geniesst es, dort an der Promenade zu joggen.
  • Ausserdem ist er regelmässig beim Street Workout zu finden, vor allem bei der Świętokrzyski Brücke.
  • «Der Stadtteil Żoliborz mit seinen Parks und Cafés ist besonders entspannt und cool.
  • Wer es urban-alternativ mag, sollte sich Praga anschauen – ein wenig touristisches Quartier mit ursprünglichem Charme, viel kreativer Energie und Gebäude, die seit Jahrzehnten unverändert sind.»
  • «Auch wenn Warschau nicht Berlin ist und sich gleichgeschlechtliche Paare nach wie vor nicht vollständig sicher fühlen können, so gibt es hier immerhin einige Lokale für die Community», erzählt er.
  • Er empfiehlt die Dance-Locations Metropolis und bei La Pose und Cruising-Fans sind die Sauna Fire und sowie das Lokal Instytut sehr beliebt.

«Wir werden mit Demonstrationen oder Hausbesetzungen weiterhin alles geben, um keine Menschen zweiter Klasse mehr zu sein», gibt sich Linus für die Zukunft kämpferisch. Eine faszinierende Landschaft, Bike-Abenteuer, abwechslungsreiche Städte oder ein vibrierendes Leben in der Hauptstadt – Polen hat eine grosse Vielfalt an interessanten Orten für Besuchende. Bleibt zu hoffen, dass das Engagement der Community für noch mehr Toleranz und Gleichberechtigung in den nächsten Jahren erfolgreich sein wird.

Linus vor einem Gemälde, das an die Rainbow Night erinnert, in der die Polizei 48 LGBT-Personen wegen Regenbogensymbolen verhaftete.

Eine faszinierende Landschaft, Bike-Abenteuer, lebendige Städte und ein pulsierendes Nachtleben: Polen ist vielseitig und überraschend. Die queere Community kämpft engagiert für mehr Rechte und Sichtbarkeit – mit Regenbogen, Mut und einer grossen Portion Hoffnung.