Zirkus Knie – zwischen Glanz, Giacobbo und einem Clown, der aneckt. Ansichten aus der Premiere.
Es war ein gesellschaftlicher Pflichttermin: Gestern Abend feierte der Zirkus Knie seine grosse Premiere auf dem Zürcher Sechseläutenplatz – und Zürich zeigte sich prominent. Mit dabei waren unter anderem SP-Nationalrätin Tamara Funiciello, Star-Figaro Martin Dürenmatt, SVP-Politikerin Nathalie Rickli sowie Schauspiellegende Walter Andreas Müller. Politik von links bis rechts, Kulturschaffende, Medienschaffende – und viele bekannte Gesichter aus der LGBTQ-Community. Die Stimmung im Zelt war ausgelassen, das Publikum spendete begeistert Applaus. Auffällig jedoch: Die junge Influencer-Garde glänzte durch Abwesenheit – obwohl sie sonst überall auftaucht, wo es Prosecco und Story-Material gratis gibt.

Viele internationale Artisten
Der Zirkus Knie war einst ein Ereignis für alle Generationen. Heute wirkt er in Teilen wie ein Facebook-Feed: Für Ü50 ein gemütliches Schwelgen in Erinnerungen – für Jüngere teilweise schwerer zugänglich. Ausser, dass jetzt wohl jede Person von ihrem Platz aus die besten Momente für Insta aufnehmen darf.
Diese Momente gibt es durchaus: etwa wenn Hng Thean Leong mit messerscharfer Präzision seinen Diabolo durch die Luft jagt – jeder Wurf ein Treffer. Oder wenn die Urban Crew Philippines mit energiegeladener Streetdance-Akrobatik für echte Festival-Vibes sorgt. Auch das japanische Kollektiv UniCircle Flow bringt mit eleganter Einradartistik modernen Drive in die Manege. Und spätestens bei der Zhejiang Folk Art Troupe, die auf feinen Schirmen balanciert, erkennt man: Hier passiert visuell Beeindruckendes, das Instagram nicht besser zeigen könnte.
Trotzdem bleibt die Frage, ob diese Highlights reichen, um ein diverses und generationenübergreifendes Publikum abzuholen.
Besonders dann, wenn Viktor Giacobbo und Mike Müller ihre altbekannten Figuren ausgraben. Harry Hasler, Armin und seine schräge Mutter – das war einst Kult, heute versteht das kaum noch jemand unter 35. Der Humor wirkt wie aus der Zeit gefallen. Dabei wäre gerade jetzt genau ihr gesellschaftskritischer Witz gefragt. Aber vielleicht passt Kritik ja wirklich nicht in einen Zirkus?

Clown Chistirrin – wenn Humor kippt
Wirklich problematisch wird es bei Clown Chistirrin. Seine Nummern greifen tief in die Kiste der Klischees – und bleiben dort. Er macht sich lustig über Sprachfehler, über queeres Verhalten, über Menschen mit anderer Mimik oder Motorik. In einer Szene lädt er einen Mann aus dem Publikum auf eine imaginäre Motorradreise ein – die plötzlich in eine homoerotische Fantasie kippt, haha. In einer anderen Szene setzt sich Chistirrin unvermittelt auf den Schoss einer Zuschauerin – inklusive anzüglicher Gestik.
Was wohl lustig gemeint ist, kippt ins Unangenehme. Weniger subversive Satire, mehr Fremdscham. Ein Humor, der sich nicht weiterentwickelt hat – und in einer Zeit steckengeblieben ist, in der man noch sorglos über alles lachen durfte, ohne zu fragen: Auf wessen Kosten eigentlich? Offen gesagt: Nicht mal in Hintertupfikon sollte so etwas gezeigt werden – und schon gar nicht auf dem schönsten Platz Zürichs, der oft am überzeugendsten wirkt, wenn er leer ist. Chistirrin heisst übrigens auf Deutsch Witzchen. Seine sexistischen Scherzchen hätte er sich sparen können.
So sitzt man zwischen Politprominenz und Familienpublikum und fragt sich: Ist das noch zeitgemäss? Ist das Kunst? Oder einfach Tradition wie die Wahl des Papstes?
Ivan Knie – der moderne Gegenentwurf
Und ja, es gibt sie, die magischen Momente. Vor allem, wenn Ivan Knie mit seinem Pferdeballett die Manege bespielt. Was er mit Anmut und Präzision zeigt, ist Zirkuskunst auf höchstem Niveau – modern, klar, kraftvoll. Diese Momente tragen den Abend und zeigen, was der Zirkus heute sein kann, wenn er sich auf seine Stärken besinnt.
Ivan Knie selbst sagte kürzlich in einem Interview, dass er gerne einmal den Zirkus übernehmen möchte. Aber erst wenn er dazu bereit ist. Man möchte ihm zurufen: Mach dich bereit. Denn die Zukunft des Zirkus Knie wird sich daran entscheiden, ob er sich weiterentwickelt – oder weiter in Nostalgie versinkt.