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Michael Pereira ist der neue Mr Gay Europe. Der Schweizer Kinderarzt setzte sich mit seinem Projekt «Safe to Grow» an den Wahlen in Amsterdam durch.

«Ich will den Support bieten, den ich selbst nie hatte»

Der Kinderarzt Michael Pereira will sich mit dem Projekt «Safe to Grow» für queere Kinder und Jugendliche in der Schweiz engagieren. Im DISPLAY-Interview spricht er über persönliche Erfahrungen, seine Teilnahme an Mr Gay Europe – und warum es dringend mehr Anlaufstellen und Aufklärung braucht.

Von Christian Gersbacher

DISPLAY: Michael, wie ist die Idee zum Projekt «Safe to Grow» entstanden? Gab es ein Schlüsselerlebnis?

Michael: Es war weniger ein einzelnes Erlebnis, sondern eher meine eigene Geschichte. Ich bin Teil der queeren Community und hatte selbst eine schwierige Kindheit. Schon länger habe ich überlegt, wie ich ein Projekt auf die Beine stellen könnte, das genau dort ansetzt. «Safe to Grow» ist aus dem Wunsch entstanden, die Art von Support anzubieten, die ich mir damals als Kind gewünscht hätte – aber nie hatte.

Was genau hast du mit dem Projekt vor? Welche Massnahmen planst du?

«Safe to Grow» befindet sich noch in der Aufbauphase. Es ist Teil meiner Teilnahme an Mr Gay Europe, wo ich das Projekt im Juli auch der Jury vorstellen werde. Im Kern geht es um zwei Dinge: Aufklärung sowie sichere Räume für queere Kinder und Jugendliche. Wir wollen über queeres Leben informieren, Vorurteile abbauen – und so auch präventiv auf die mentale Gesundheit wirken. Wenn junge queere Menschen früh erfahren, dass sie okay sind, wie sie sind, kann das viele Probleme verhindern.

Du sprichst von sichereren Räumen. Wie soll das in der Praxis aussehen?

Wir wollen eine zentrale Anlaufstelle schaffen – physisch oder digital –, in der queere Kinder und Jugendliche sich sicher fühlen, Fragen stellen können und Unterstützung finden. Gleichzeitig arbeiten wir an Bildungsformaten, etwa für Schulklassen oder Pflegepersonal. Gerade im Umgang mit trans* Kindern gibt es viel Unsicherheit. Es braucht Wissen, Sensibilität und vor allem Offenheit.

Arbeitest du dabei auch mit bestehenden Schweizer Organisationen zusammen?

Unbedingt – ich erfinde das Rad ja nicht neu. Ich habe Kontakt aufgenommen zu Organisationen wie Du bist du, Transgender Network Switzerland TGNS und dem Regenbogenhaus. Ziel ist es, Ressourcen zu bündeln, statt dass jede Organisation für sich arbeitet. Ich möchte «Safe to Grow» in diese bestehenden Strukturen einbetten, aber mit einem klaren Fokus: queere Kinder und Jugendliche im Zentrum.

Du bist Kinderarzt und selbst Teil der LGBTIQ-Community. Wie beeinflussen deine persön-
lichen und beruflichen Erfahrungen dein Engagement für «Safe to Grow»?

Das lässt sich gar nicht so klar trennen. Es ist wirklich ein Mix aus persönlicher Geschichte, beruflicher Erfahrung und sozialem Umfeld, der mich dazu gebracht hat, dieses Projekt zu starten.

Was hast du beruflich erlebt, das dich besonders geprägt hat?

Als Kinderarzt sehe ich jede Woche, wie sehr das Thema Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung im medizinischen Alltag noch mit Unsicherheit behaftet ist. Es ist zwar kein absolutes Tabuthema mehr, aber viele Gesundheitsfachpersonen sind nach wie vor überfordert damit – oder vermeiden es ganz, darüber zu sprechen. Das schafft Unsicherheit – bei den Fachpersonen genauso wie bei den jungen Patient*innen. Und daraus kann sich eine Negativspirale entwickeln: Wer sich als Kind oder Teenager einmal schlecht aufgehoben fühlt, sucht vielleicht später keine Hilfe mehr. Genau das möchte ich verhindern.

Wie möchtest du versuchen, das zu ändern?

Mir ist es wichtig, dass Kolleg*innen für das Thema sensibilisiert werden – nicht nur Ärzt*innen, sondern auch Pflegepersonal, Schulsozialarbeitende oder Psycholog*innen. Es gibt Kinder mit einer anderen Geschlechtsidentität oder sexuellen Orientierung, und sie brauchen von Anfang an offene, informierte Bezugspersonen. Allein die Art, wie man Fragen stellt, kann schon stigmatisierend wirken. Wenn man etwa im Gespräch mit einem Jugendlichen fragt: «Hast du eine Freundin?», geht man automatisch von Heterosexualität aus. Das sind scheinbar kleine Details, aber sie haben eine grosse Wirkung.

Was ist das Ziel von «Safe to Grow»? 

Es geht um Sichtbarkeit, Sicherheit – und darum, Vertrauen zu schaffen. Damit queere Kinder und Jugendliche nicht das Gefühl haben, sie müssten sich rechtfertigen oder verstecken. Als Arzt sehe ich, wie entscheidend frühe Unterstützung ist. Und als queerer Mensch weiss ich, wie sehr sie fehlt, wenn sie nicht da ist.

Das Projekt hast du im Rahmen deiner Kandidatur für die Schweiz bei Mr Gay Europe ins Leben gerufen. Wie kam es dazu, dass du an diesem Wettbewerb teilnehmen willst? 

Das war eigentlich eher zufällig. Letztes Jahr habe ich auf Social Media einen Aufruf gesehen. Zuerst dachte ich, das sei ein klassischer Schönheitswettbewerb – also eher oberflächlich. Aber als ich mich näher damit befasst habe, wurde mir klar, dass viel mehr dahintersteckt. Mr Gay Europe ist kein Contest, der nur auf Äusserlichkeiten schaut, sondern auf Engagement und Inhalt. Es geht darum, als Vertreter der LGBTIQ-Community in Europa ein Projekt oder Anliegen einzubringen, das wirklich etwas bewirken kann. Das hat mich sofort angesprochen.

Wie funktioniert die Auswahl für den Schweizer Vertreter bei Mr Gay Europe?

Anders als in vielen europäischen Ländern gibt es bei uns keine öffentliche Vorwahl oder nationale Ausscheidung. Ich habe mich direkt beim europäischen Komitee beworben. Dafür musste ich ein ausführliches Formular ausfüllen – warum ich mitmachen will, welches mein Projekt ist, was mich motiviert. Danach hat der Vorstand von Mr Gay Europe entschieden, wer zugelassen wird. Im Januar kam dann die Zusage, dass ich die Schweiz vertreten darf. 

Was möchtest du mit deiner Teilnahme bewirken – für dich, für die Community?

Für mich persönlich ist es eine Möglichkeit, meine Geschichte weiterzugeben – und vielleicht auch etwas zu heilen. Ich habe als Jugendlicher selbst Mobbing erlebt, wurde ausgeschlossen, war oft allein. Heute kann ich sagen: Ich bin durchgekommen und kann anderen durch meine Erfahrungen helfen. Das ist ein grosses Geschenk.

Für die Community möchte ich Sichtbarkeit schaffen. Es ist wichtig, dass queere Menschen nicht nur in Grossstädten oder auf CSDs sichtbar sind, sondern auch im Alltag – sogar in Ländern, in denen die Situation schwieriger ist.

Und für mein Projekt «Safe to Grow» wünsche ich mir, dass es durch die Plattform, die Mr Gay Europe bietet, bekannter wird. Vielleicht entstehen dadurch neue Kooperationen. Vielleicht erreichen wir Jugendliche, die sich bisher nicht getraut haben, Hilfe zu suchen. Wenn ich nur einem Kind damit helfen kann, hat es sich gelohnt.

Was bedeutet für dich persönlich queere Sichtbarkeit?

Es bedeutet, dass niemand mehr verstecken muss, wer er oder sie ist. Dass ein Kind mit zwei Müttern nicht erklären muss, warum seine Familie anders aussieht. Dass ein trans* Teenager nicht Angst haben muss, beim Arzt ausgelacht zu werden. Sichtbarkeit schafft Normalität – und Normalität ist der erste Schritt zu echter Gleichstellung.   


Mr Gay Europe in Amsterdam

Michael Pereira nahm vom 29. Juli bis am 1. August in Amsterdam am Mr Gay Europe-Event teil. Mit seinem Projekt «Safe to Grow» überzeugte er die Jury und gewann den Titel.

▶ Infos: mrgayeurope2025.com