Freund für einen Tag

Josia Jourdans Erlebnisse auf Dating-Apps. Teil 2: in Milano.

Ich stehe also da an dieser Busstation und blicke mich um. Mein Handy hat kein Roaming. Würde er auftauchen? Obwohl ich in Mailand bin, ist der Himmel grau. Es sieht nach Regen aus. Ich blicke nervös auf die Uhr. Wir haben vor zwei Stunden auf Tinder gematcht und jetzt warte ich hier auf ihn. Plötzlich sehe ich, wie ein kleines, italienisches Auto (wahrscheinlich ein Fiat, aber ich kenne mich mit Autos wirklich nicht aus) vor mir hält. «Ciao»! Er grinst mich an. Süss. Er meint auf Englisch, dass er sein Auto kurz parkieren würde. Ich nicke. Verrückt. 

Zum Auftakt ein Espresso
Es ist der dritte Tag in Mailand mit meinem besten Freund. Wir sind beide müde. Zwei lange Nächte und heisse Tage liegen hinter uns. Wir haben beschlossen, den Nachmittag getrennt zu verbringen. Er trifft sich in einer Bar mit ein paar anderen und ich habe ein Date. Der junge Italiener nimmt von Beginn an meine Hand und zieht mich über die Piazza Gae Aulenti in ein Café. Dabei kommt der Sturm auf, der sich schon den ganzen Tag angebahnt hat. Während wir unseren Espresso trinken, geht die Welt draussen unter. Er trinkt schnell, redet aufgeregt, und während ich ihm etwas erzähle, blickt er mich interessiert an. Er meint, er hätte mir eigentlich gerne die Stadt gezeigt. Ideal, wenn ich bedenke, dass ich zwar seit drei Tagen in Mailand bin, aber eigentlich ausser das Nachtleben, den Dom und ein paar zentrale Strassen bisher eher wenig der italienischen Modemetropole gesehen hatte.  Der Wind reisst Tische und Stühle um. An der Strasse hält er mich an, zieht mich an sich und küsst mich stürmisch. Ich lache über seine aufgedrehte Art und die Absurdität dieses Momentes. Surreal. Trotzdem verspüre ich Freude. In seinem Fiat (ich hatte Recht!) hören wir Nicki Minaj und in typischer Italo-Manier fährt er uns durch das Verkehrschaos der Mailänder Strassen. Ein Sightseeing-Date ist auch mal etwas. Wir halten. Wir sind dem Sturm entflohen. Machen Fotos, liegen auf einer Wiese und er erzählt mir von seiner Arbeit als Fotograf, von Mailand und irgendwann meint er, ob ich eigentlich sein Freund sei für diesen einen Tag. Sein Freund? Klar, warum auch nicht! Bisher habe ich nie einen Freund gehabt und so ein Freund für einen Tag klingt perfekt, um sich zumindest mal an die Vorstellung zu gewöhnen. Ich fühle mich seltsam befreit. Glücklich. Wir küssen uns so lange, bis irgendein homophober Macho uns etwas auf Italienisch zuruft. Zeit zu gehen. Die Hitze zwischen uns ist sowieso spürbar.

Addio!
Im Auto schreibe ich meinem besten Freund, ob er noch im Hotel sei. Er antwortet sofort, dass er schon weg sei. Perfekt. «To my place?» sage ich zu meinem italienischen Ein-Tages-Freund. Er nickt. Ich bin nicht aufgeregt, eher freudig erwartend. Er ist süss. Wirklich. Und so verbringen wir zuerst ein paar schwitzige Momente im Hotelbett, bevor wir uns mit einer Dusche abkühlen. Dazwischen verkrampft sich kurzzeitig sein Bein und auch sonst läuft nicht alles perfekt. Es ist seltsam intim und vertraut, aber gleichzeitig auch neu. Aber wir sind beide so humorvoll, dass wir diese Situation nicht zu ernst nehmen und alles, was eben nicht ganz so perfekt wie in einem Film läuft, mit einem Kuss oder einem Zwinkern abtun. Nachdem wir wieder angezogen noch einen Moment nebeneinander liegen, ist die Zeit für den Abschied gekommen. Er muss arbeiten gehen und ich zu meinem besten Freund. «See you my Swiss boyfriend», meint er, nachdem wir uns das letzte Mal geküsst haben und er in sein Auto steigt. «Ciao».   

Nemo: Endlich frei

«I gloube das bisch du». Damit hat Nemo sich mit 18 in die Herzen der Fans gesungen und landete auf Platz 4 der Schweizer Hitparade. Mittlerweile ist Nemo 24, lebt in Berlin, singt Englisch und bezeichnet sich als nicht-binär – eine eigentliche Befreiung. DISPLAY hat Nemo in einem Berliner Café vor dem grossen Abenteuer ESC getroffen.

Interview Josia Jourdan Bilder Ella Mettler