«Es wäre schön, wenn sich alle etwas entspannen würden»

In seinem Debüt «All die brennenden Fragen» spricht Henri Maximilian Jakobs mit seiner besten Freundin Christina Wolf über trans Realitäten. Offen, sachlich, verletzlich und klar erzählt er, was es bedeutet, trans zu sein, und gibt Antworten auf die brennenden Fragen rund um das Thema.

Interview Rico Schüpbach

DISPLAY: Henri, wie ist die Idee zum Buch entstanden?

Henri Maximilian Jakob: 2018 haben wir zusammen mit Christina einen Podcast über meine damals angefangene Transition rausgebracht. Das Buch ist die Weiterführung dieser Gespräche. Christina ist meine beste Freundin. Eigentlich haben wir uns zuerst einfach getroffen, mit Mikrophon und Kamera, ohne grosse Hintergedanken. Die Ursprungsidee war, meine Transition festzuhalten. Daraus ist dann ein Podcast entstanden und später das Buch.

Ist für dich eine Transition ein Prozess, den mensch startet und irgendwann beendet, oder ist mensch immer in Transition?

Es gibt Sachen, die irgendwann abgeschlossen sind. Zum Beispiel rechtliche Schritte, wie die Änderung des Namens und des Personenstandes. Das Lernen von sozialen Konstrukten und wie mensch sich selbst noch verändert in dem Irrsinn, der uns umgibt. Aber das ist im Idealfall bei jeder Person so. Jeder Mensch, ob trans oder nicht, entwickelt sich hoffentlich weiter. Das Leben ist kein Stillstand.

In Deutschland gilt nach wie vor das diskriminierende «Transsexuellengesetz». Was muss daran geändert werden?

Durch dieses Gesetz sind trans Menschen fremdbestimmt und abhängig von der Willkür anderer Menschen, ausserdem muss man lange warten und bestimmte Fristen einhalten. Die bürokratischen Angelegenheiten sind unangenehm. Zwei wildfremden Gutachter*innen intimste Details zu erzählen, macht niemand gerne. Das Verfahren ist teuer, die Kosten muss man selbst tragen. Früher musste man sich sogar noch unfruchtbar machen lassen. Immerhin wurde das mittlerweile abgeschafft. 

Was müsste noch gesellschaftlich verbessert werden für trans Menschen?

Der Staat müsste mit gutem Beispiel vorangehen. Straftaten gegen trans Menschen und generell queere Menschen müssen als solche benannt und entsprechend bestraft werden. Und damit meine ich nicht nur physische Gewalt. Sondern zum Beispiel auch, wenn eine trans Frau ständig als Herr angesprochen wird. Leute müssen verstehen, dass sie die Transition einer anderen Person im Grunde nichts angeht und sie auch nicht betrifft. Klar musste sich mein Umfeld erst einmal darauf einstellen, aber ansonsten hat das keine andere Person zu interessieren. Auch die Medien tragen eine grosse Verantwortung. Radikale Aussagen bedeuten Reichweite. Wenn ich was Krasses sage, hören die Leute zu. Klicks bedeuten halt auch Geld.

Wie sieht eine ideale Welt für dich aus in Bezug auf Geschlechterrollen?

Im Idealfall sollten sich alle einfach ein bisschen entspannen. Das klingt jetzt locker, aber damit meine ich, nicht Festhalten an Geschlechterrollen. In einer idealen Welt könnte ich mich verhalten, wie ich mich eben fühle. Alle würden davon profitieren, wenn das nicht so starr gelten würde. Wir sind halt alle Menschen und alle unterschiedlich. Ich würde nicht denken, oh, ich bin ein Mann, ich muss mich ja so und so verhalten oder dieses und jenes sollte ich nicht tun. 

Planst du noch weitere Bücher?

Ja. Anfang Juni kommt mein erster Roman «Paradiesische Zustände» raus. Das Buch erzählt eine queere Coming-of-Age-Geschichte und ich glaube, die Welt braucht sie.   


Das Buch und sein Autor

Wie fühlt es sich an, trans zu sein? Wie läuft eine Transition ab, und welche medizinischen und rechtlichen Hürden stehen dabei bevor? Und was wünschen sich trans Menschen von ihrem Umfeld?
Henri Maximilian Jakobs ist Musiker, Schauspieler und Synchronsprecher – aktuell tritt er an der Schaubühne Berlin auf. Ausserdem ist er trans. Nachdem er mit der Journalistin Christina Wolf den Podcast «Transformer» über seine Transition aufgenommen hat, führen die beiden das Gespräch nun im Buch «All die brennenden Fragen» weiter. Offen und sachlich sprechen Jakobs und Wolf im Buch über die Fragen, die trans Menschen oft gestellt werden und die Jakobs selber vor seiner Transition hatte. Das Buch will eine Debatte auf Augenhöhe anregen – fernab von übergriffigen Fragen und Vorurteilen.

Nemo: Endlich frei

«I gloube das bisch du». Damit hat Nemo sich mit 18 in die Herzen der Fans gesungen und landete auf Platz 4 der Schweizer Hitparade. Mittlerweile ist Nemo 24, lebt in Berlin, singt Englisch und bezeichnet sich als nicht-binär – eine eigentliche Befreiung. DISPLAY hat Nemo in einem Berliner Café vor dem grossen Abenteuer ESC getroffen.

Interview Josia Jourdan Bilder Ella Mettler