Josia Jourdans Dating-Storys Teil 5: Nacktbaden bei den Royals.
Illustration Leah Schnitzler
Ich liege in einem fremden Bett, bin müde, high und frage mich, ob ich nicht besser zurück in mein Hostel sollte. Durch das Fenster sehe ich Stockholm bei Nacht, davor steht der Mann, den ich wenige Stunden davor das erste Mal gesehen habe. Gespräche, Joints und Hände, die meinen Körper erforscht haben – es war ein schönes Kennenlernen. Ich fühle mich erstaunlich wohl und drücke mich zurück ins Kissen, gähne.
Getroffen haben wir uns eigentlich nur, weil ich Grindr mal wieder als Hilfsplattform für verlorene Touristen gebraucht und nach Tipps für Schwedens Hauptstadt gefragt habe. Im
Gegensatz zu den meisten anderen ist auf sein Angebot, mir zu helfen, kein Dickpic gefolgt. Er hat interessiert, ehrlich und sympathisch gewirkt, meine Fragen beantwortet und mich zu keinem Treffen gedrängt. Stattdessen habe ich gefragt, ob er Lust habe, mich noch spontan zu sehen. Er stimmte zu, meinte, wir könnten ja schauen, wohin sich das Ganze entwickle. Er sei müde und leicht verkatert. Von dem her sollte ich keine zu grossen Erwartungen haben.
Wie wär’s mit einer Bootstour?
Für mich klang das ideal. Kein Druck, stattdessen ein neuer Kontakt in einer mir unbekannten Stadt, und so stand ich zwei Stunden später vor seiner Haustür. Ganz natürlich sind aus
einem ersten Gespräch vertiefte Konversationen entstanden, irgendwann ein erster Kuss und dann nackte Haut in weichen Laken. Sanft und immer wieder unterbrochen von Gesprächen und leiser Musik.
«Willst du wirklich zurück ins Hostel? Du kannst auch hier schlafen und morgen mit mir eine Bootstour machen. Ich kann dir die Stadt zeigen». Eine Bootstour? Meint er das ernst? Ich frage nach, er erzählt mir, dass er ein kleines Sportboot hat und sowieso mal wieder eine Tour machen wollte. Springe ich darauf an? Normalerweise übernachte ich nicht bei Fremden und schon gar nicht in einer Stadt, die ich nicht kenne. Er könnte schliesslich ein Serienkiller sein. Ich schmunzle bei dem Gedanken. So oft wie ich schon fremde Männer getroffen habe, kommt mir dieser Gedanke reichlich spät. Aber er scheint es ernst zu meinen, und eine Bootstour klingt ver-
lockend. «Ich bring dich danach zum Bahnhof, zwei Stunden auf dem Boot. Dann siehst du das echte Stockholm» Er hat mich überzeugt. Ich nicke, er legt sich neben mich, streichelt über meinen Körper. An ihn gekuschelt versinke ich im Schlaf.
Sonne scheint auf mein Gesicht. Wo bin ich? Ich blicke mich um, die Erkenntnis trifft mich. Ich schüttle den Kopf über mich selber und meine nächtliche Entscheidung, dann höre ich ein «Guten Morgen». Ich drehe den Kopf und sehe ihn nur mit knappen Shorts bekleidet in der Küche stehen. Er
lächelt mich an, fragt mich, was ich trinken möchte und ob ich Hunger habe. Mit einer Tasse Kaffee in der Hand sitze ich fünf
Minuten später auf seiner Couch. Wir reden, er erzählt mir von seiner Arbeit, seiner letzten Reise nach Südamerika, und nachdem wir uns angezogen haben, hält er einen Schlüssel in die Luft. «Bist du bereit für eine Bootstour?» Ich nicke, aufgeregt, was mich erwartet.
Der Wind bläst in mein Gesicht, die Luft ist frisch, die Sonne scheint, Wasser rauscht an mir vorbei. Ich strahle. Zum Glück bin ich geblieben. Er hat nicht übertrieben, als er meinte, er würde mir die schönsten Orte der Stadt zeigen. Wir fahren durch die Kanäle Stockholms, vorbei an farbigen Häusern und unter tiefen Brücken durch. Er deutet auf Gebäude, erwähnt Details, ich küsse ihn.
Das Boot des Prinzen
Mit der Zeit verlassen wir die Stadt. Wir reden nicht viel, ge-
niessen die Natur, die uns empfängt. Ruhe, die bloss von Vogelgezwitscher und dem Rauschen des Wassers gebrochen wird. Das Ufer leuchtet in den unterschiedlichsten Grüntönen. «Danke. Das ist das Schönste, was ich seit langem gesehen habe». Ich meine es ernst. Wie habe ich das verdient? Ich frage nicht nach, geniesse stattdessen die Aussicht. Er deutet auf ein pompöses Gebäude, das sich vor uns ins Blickfeld schiebt «Der Sommerpalast der Königsfamilie», dann deutete er auf ein Boot, «und das ist das Boot des Prinzen. Ich habe ihn mal per Zufall getroffen». Ich mag diese kleinen Anekdoten, der Palast sieht jedoch wesentlich unspektakulärer aus, als ich mir das vorgestellt habe. Ich beobachte die Touristen am Ufer, er fischt währenddessen eine Plastikflasche aus dem Wasser.
Ich deute auf die Oberfläche, als wir wenig später inmitten des Wassers halten. «Können wir schwimmen?» Er nickt, wir ziehen uns aus. Springen nackt in das kühle Wasser. Es fühlt sich grossartig an. Um mich herum Blau, Natur. Ich atme tief ein. Tauche unter, schwimme eine Runde um das Boot, dann ziehe ich mich wieder hoch. Nackt sitzen wir nebeneinander, lächeln uns an.
Zwei Stunden später sind wir zurück. Er fährt mich zu meinem Hostel, ich hole meine Koffer, dann geht’s zum Bahnhof. Mein Zug fährt in 20 Minuten. Ich bin immer noch am Staunen, ein bisschen traurig, dass ich nur so kurz in dieser Stadt geblieben bin. «Schreib mir, wenn du wieder in Stockholm bist», meint er. Ich nicke. Ganz bestimmt.