Yoga und Gays: Ein Traumpaar

In der Haltung des Helden verweilen. Sich auf den Kopf und auf die Hände stellen. Mit konzentrierten Flows Körper und Kopf harmonisieren, den Atem bewusst lenken und wuselnde Gedanken mit Meditation beruhigen: Mit seiner Vielfalt fasziniert und inspiriert Yoga auch viele schwule, bi und trans Männer – zum Beispiel Pascal Mühlebach. Er setzt nun beruflich auf Yoga.

«In meiner allerersten Yogastunde», erzählt Pascal Mühlebach mit einem Grinsen, «hatte ich das Gefühl, ich könne mich überhaupt nicht bewegen.» Manche Männer lassen es dann frustriert bleiben – Pascal nicht, denn: «Yoga gefiel mir trotzdem.» Fortan ging der 29-Jährige in den Kurs. Nach und nach wurde er beweglicher, wie er sagt. «Mein Interesse war geweckt. Es vertiefte sich mehr und mehr.»
Also absolvierte Pascal eine einmonatige Ausbildung im Tirol «Das war eine intensive Erfahrung: einen Monat ausschliesslich Yoga. Von morgens bis abends. Mit enorm vielen Inputs.» 
Diese Inputs vertieft Pascal nun die nächsten zwei Jahre: mit Seminaren an der Yoga University in Villeret im Berner Jura, wo er das Diplom des Schweizer Yogaverbandes als Yoga­lehrer erwirbt, womit sein Angebot von den Krankenkassen anerkannt ist. 
«Als ich die Ausbildung in Österreich absolvierte, tat ich das vor allem für mich: um den
Facettenreichtum von Yoga kennenzulernen», sagt Pascal. «Meine Lehrerin ermunterte mich zu unterrichten. In der ersten Stunde war ich enorm nervös. Es machte mir Freude – den Teilnehmer:innen ebenso.»

Noch mehr Gutes bewirken

Seit Anfang dieses Jahres wirkt Pascal als Yogalehrer in Kloten und Winterthur. Zuvor war er als Betreuer für Menschen mit Behinderung tätig und spielte mit dem Gedanken, die Ausbildung zum Sozialpädagogen zu absolvieren – entschied sich jedoch, auf die Karte Yoga zu setzen. «Ich hatte den Eindruck, dass ich so noch mehr Gutes bewirken, mehr Menschen ansprechen und noch mehr bewegen kann.»
Den Schritt in die Selbständigkeit hat Pascal ausgerechnet gemacht, als es am Yogahimmel düster aussah: Shutdowns allerorten, und auch für Yogakurse war ein Zertifikat nötig. Die Zurückhaltung ist bei den Teilnehmer:innen auch heute noch spürbar. 
«Letztlich habe ich die ultimative Angst, die alle anderen Ängste klein werden lässt», sagt Pascal, «die Angst, dass ich dereinst auf dem Sterbebett sagen werde: Ich habe es verpasst zu versuchen, diesen Traum umzusetzen.»
Es könnte klappen, meint er mit einem Augen­zwinkern: «Sowieso lerne ich Neues. Darum geht es im Leben meiner Meinung nach: Erfahrungen zu sammeln, sie zu integrieren und an ihnen zu wachsen.»
Als Lehrer lernt Pascal stets dazu, auch von seinen Schülerinnen – und den Schülern: Männer fürs Yoga zu motivieren, liegt ihm besonders am Herzen. 
Das hat diesen biografischen Hintergrund: Als Bub wurde er von seinem Vater geschlagen. «Mein Vater war überfordert. Er hatte keine Worte und seine Impulse nicht unter Kontrolle», sagt Pascal. 
Im Yoga lernt man, sich selber über den Körper wahrzunehmen und Distanz zu schaffen zu solchen Impulsen wie Emotionen und Gedanken. «Man erforscht sich selber, lernt sich immer besser kennen. Auch die Muster, die hinter dem eigenen Handeln stecken», sagt Pascal. «Das überträgt sich auf den Alltag. Um bewusst handeln zu können – so, wie wir es uns selber wünschen. Denn kaum ein Mann will, dass ihm die Hand ausrutscht. Echte Männlichkeit zeigt sich, indem man sich selber präzise wahrnimmt, sich gut erdet und nach friedfertigen Lösungen sucht.» 
Auf diesen Weg begeben hat sich auch Pascals Vater, der regelmässig beim Yoga seines Sohnes dabei ist. «Unsere Beziehung hat sich dadurch markant verbessert», sagt Pascal. «Yoga kann vieles bewirken, auch zwischenmenschlich: Es kann heilend wirken.» 

 

Ursprünglich reine Männersache

Manchmal ist fast die Hälfte der Teilnehmer in Pascals Kursen männlich. Er hofft, dass Mann endlich wegkommt von der Idee, Yoga sei reine Frauensache. «Ursprünglich», sagt Pascal, «praktizierten sogar nur Männer Yoga. Frauen waren ausgeschlossen. Das hat sich zum Glück verändert.» 
Dass es demotivieren kann, wenn man auf die manchmal flexiblen Frauen schielt, weiss Pascal aus eigener Erfahrung. «Männer haben nun mal mehr Muskeln. Bleibt man aber dran, sind Fortschritte möglich. Zudem geht es beim Yoga nicht ums Leisten. So können Männer lernen, sich nicht mit anderen zu vergleichen und sich nicht über Leistung zu definieren. Sondern es für sich zu machen, bei sich selber zu bleiben. Ohne zu meinen, sich bestätigen zu müssen.» Auch viele schwule, bisexuelle und trans Männer zieht es zum Yoga. Darum leitet Pascal ein verlängertes Yoga-Weekend extra für sie (siehe Interview Seite 40). «Ob man von der Norm abweicht, eine bestimmte sexuelle Präferenz hat: Das spielt absolut keine Rolle», sagt Pascal. «Beim Yoga übt man sich darin, sich selber zu mögen, zu lieben. Sich zu befreien von äusseren Erwartungen und Ansprüchen. Und sich so zu öffnen, um mehr und mehr in Einklang und Frieden mit sich selber zu gelangen.»
Äusserlich gesehen machen beim Yoga alle dasselbe, gemäss ihren momentanen Möglichkeiten. Innerlich sieht Pascal für Gays ein spezifisches Potenzial zum Entfalten: «Da wir schwule Männer in der Regel nicht mit einem weiblichen Gegenüber intim werden, ist es für uns besonders naheliegend, sich mit der weiblichen Energie, der Mondenergie zu beschäftigen – und somit den inneren Anteil von Mond und Sonne (männliche Energie) in Balance zu bringen. Damit wir weniger in Polaritäten leben – uns vollständig, ganz fühlen.» 

Frisch verliebt
Ist man mit sich selber im Reinen, spiegelt sich das im Aussen. Das erlebt Pascal privat: «Ich habe mich verliebt!», erzählt er. «Dass es mich so heftig erwischen würde, kann ich kaum
glauben!» 

Der wahrscheinlich ebenso Glückliche ist ein Indonesier, der in Basel lebt. Pascal schwärmt: «Er hat eine wundervolle Ausstrahlung, ist loyal und ehrlich. Ich kann ihm ganz vertrauen, ganz ich selber sein!»