Coronavirus, Covid19

Was war und was noch kommt

Es gibt nichts Überflüssigeres als Corona. Vielleicht all diese dem Virus gewidmeten Tagebücher. Ich versuche es trotzdem mal mit einer sehr persönlichen Chronik. 

Ein Essay von Martin Naef

* Martin Naef war von 2011 bis 2019 Nationalrat. Der 49-jährige Jurist wohnt seit bald 30 Jahren im Zürcher Langstrassen-Quartier.

Coronavirus, Covid19

Angst oder so

Am Anfang wussten wir noch weniger als heute, was uns da bevorstehen sollte. Am Tag vor dem Lockdown war ich noch in einer Beiz und hörte danach die apokalyptische Hymne von Udo Jürgens «Am Tag davor». Udo ging es damals um den Atomkrieg, jetzt machte einfach mal alles zu. Etwas neu, aber darum auch nicht so beängstigend. Wird schon wieder. Das Virus kannten wir ja eh nicht. Schon gar nicht persönlich.

Freundschaft

Wir waren ja dann doch plötzlich etwas eingesperrt. Ausgeschlossen von Arbeit, von Gesellschaft. Wir haben dann Strategien entwickelt. Ein gemeinsamer Spaziergang oder das Teilen eines Balkons waren fast schon eine kleine Revolution. Erst recht eine verbotene Umarmung. Was haben wir telefoniert oder Online-Apéros versucht! Es war kurzzeitig irgendwie schön. 

Coronavirus, Covid19

Gewöhnung

Nun, diese Video-Konferenzen, Zoom-Meetings und Skype-Zuneigungen begannen irgendwann zu nerven. Nicht nur, weil ich keinen geeigneten Stuhl daheim habe für längere Sitzungen, sondern weil ich schon ein Bedürfnis nach physischer Nähe und Kommunikation habe. Einige finden Digitalisierung toll, Vereinzelung und Beschränkung auf Text und Bild passen aber glaub nie zu ganzen Menschen. Jedenfalls nicht für mich. Die Masken kamen dann später.

Mami

Ich war dann so nach zwei Monaten entgegen allen «Empfehlungen» mal wieder bei meinen Eltern. Habe beide umarmt. Ohne Hände, ohne Kuss. Und das noch nie zuvor so herzlich empfunden. 

Meine Mutter hatte im Alltag andere Herausforderungen als ich. Wenn sie beim Einkaufen eine Maske trug, wurde sie bös angeschaut, weil alle dachten, sie sei krank. Trug sie keine, schauten sie noch böser. Jedenfalls ist sie dann einmal auf die Hilfestellung der Gemeinde umgestiegen, wo die Frau vom Badi-Restaurant, die alle kennen, für Senioren die Einkäufe macht. Sie sagte mir dann, es sei dann halt schon manchmal etwas peinlich, wenn man so jemandem eigentlich Fremden den persönlichen Postizettel geben muss. Auf meine Rückfrage, ob sie denn im hohen Alter im Ernst noch Präservative oder Sexspielzeug bestellt habe, meinte sie nur: «Nein, Schoggi und Rotwein.». Krise ist anders.

Arbeitsmarkt

Nach meiner Abwahl aus dem Nationalrat bin ich auf Jobsuche. Das ist schwierig genug, Corona macht es fast unmöglich. Wenn man als «Teilarbeitsloser» beim RAV und der Arbeitslosenversicherung landet, sind die Formularkriege legendär. Wenn diese Ämter dann auch noch die ganzen Kurzarbeitsgesuche etc. abwickeln müssen, wird jeder Versuch einer Kommunikation in Verzweiflung enden. 

Bis dann mal was kam, ging es fünf Monate. Immerhin hat der Bundesrat in der «ausserordentlichen Lage» die Stellensuchenden von den monatlichen Nachweisen ihrer Bemühungen um eine Arbeit befreit. Wie sich herausgestellt hat, geschah dies nur zur Entlastung der Arbeitsämter. Man müsse es dann halt später nachreichen. Einzahlungsschein für Rückzahlungen garantiert. Merci vielmal.

Coronavirus, Covid19

Übermut

Und dann wurde ja überraschend schnell geöffnet. Auch wenn beim Homeoffice kaum optische Vorteile wichtig sind, war ich froh, endlich wieder zu Susanne, meiner Coiffeuse zu können. Die allerdings in der Rauchpause wegen der Maskenpflicht zuerst einmal fünf Minuten durchschnaufen musste, bevor sie sich eine Zigarette anzündete. 

Dann gingen ja auch die Restaurants wieder auf. Irritierend etwa im Rathauscafé, wo man neu Umwege um eine Mischung aus Baustellen- oder Tatortabsperrungen machen musste. Aber schön, dass zum Beispiel im Cranberry vis-à-vis es fast schon wieder war, wie früher im Sommer. Vorausgesetzt, man kennt sich. Aber eben: Innerhalb der Familie ist innerhalb der Familie. Muss für alle Familien gelten. Es war also, auch im Rathaus, fast alles wieder wie immer, und sicher ein Stress und eine riesige Unsicherheit für alle tollen Menschen, die dort nicht nur einkehren, sondern arbeiten.

Normalität

Wir waren also wieder etwas eingewöhnt. Oder wie ein Kollege vom Checkpoint es so schön zusammenfasste: «Sex haben sie ja trotzdem.» (Er hat es etwas derber formuliert). Schön, haben sie. Und wir können fast wieder alles, getrauen uns ins Büro oder in eine Bar. Und legen den Kugelschreiber weg, weil unsere Namen eh bekannt sind. Für die Contact-Tracer. Und dann kam der neue Versuch, die allgemeine Überforderung mithilfe von Maskenpflichten zu verstecken. Schadet nichts. Und der Kugelschreiber ist wieder da.

Anfeindungen

Vielen Leuten wird es ähnlich gehen, wie mir manchmal bei verstimmter Laune: Man wähnt sich nicht nur im falschen, sondern auch in einem viel zu langen Film. Ich machte mal Pause mit zehn Tagen Ferien, inklusive negativem Testresultat. Aber wir werden müde. Und müden uns darum an. Kritik am Bundesrat, am BAG, an allem und jeder. Aber wissen tun wir es auch nicht besser. Wenn ich mir an den Wochenenden das Getümmel an der Zürcher Langstrasse anschaue, wo ich seit bald dreissig Jahren wohne, neige ich dann doch wieder zur Hoffnung auf autoritär verordnete Vernunft. Man muss ja nicht gleich so daher kommen, wie diese rabiate Frau im Zug nach Basel, die mich nach kurzer Befreiung von meinem Mund- und Nasenschutz ultimativ dazu aufforderte, sofort meine Maske wieder anzulegen. Hab ich natürlich gemacht. Diese Blockwartmentalität ist mir dann aber doch fremd.

Coronavirus, Covid19

Hoffnung

Nun, es wird spätestens im Winter schlimmer. Wirtschaftlich gilt es jetzt solidarisch zu sein, mit allen, die existenziell bedroht sind, und die uns so fehlen würden, könnten sie ihren Laden, ihren Club, ihr Konzert oder ihre Dienstleistungen nicht mehr anbieten. Aber vielleicht auch darum etwas besser, weil wir uns persönlich, sozial, medizinisch und überhaupt irgendwie arrangieren werden. So sind wir Menschen. In einem funktionierenden und soliden Staatswesen dazu. Und wir oder unsere Vorfahren haben weit Schlimmeres erleben müssen als Hygienemasken, nur flüchtige Umarmungen oder auch zeitweise Erwerbsausfälle. Diese Zeiten haben uns eben auch gezeigt, und tun es immer noch, wie sehr wir einander brauchen und auch unterstützen können, wenn es eisig und einsam ist.

Alles wird gut.  ||


Illustrationen Antonio Rodriguez