Trag Rosa, Mann!

Noch in den 1980er Jahren sorgte ein pinker Anzug im Schweizer Fernsehen für massive Reaktionen. Dank engagierten Gender-, Sexismus- und Diversity-Disku­ssionen in der Gesellschaft verlieren Herr und Frau Schweizer heute aber immer weniger die Nerven wegen eines pinken Kleidungsstücks. Immer mehr Männer tragen die vermeintlich «weibliche» Farbe mit Stolz. 

Text Mark Baer

Die Liste der psychologischen Vorteile, die Pink bietet, ist lang. Rosa gilt als beruhigend, freundlich, zart, romantisch, süss und einfühlsam. Im Feng Shui soll die Farbe dem Stress den Garaus machen. Weil Pink auch gut gegen aggressive toxische Männlichkeit wirken soll, werden immer mehr Gefängniszellen in dieser auffälligen Farbe gestrichen. 

Farbtests wie beispielsweise der bekannte Lüscher-Test aus dem Jahr 1947 werden heute aber kaum noch verwendet, wie der Psychoanalytiker Udo Rauchfleisch sagt. «Es ist nicht in ausreichendem Masse gelungen, mit Hilfe von Farbtests diagnostisch verlässliche Aussagen über eine Person zu machen», führt der emeritierte Professor aus. Dennoch sei es unbestritten, dass eine enge Beziehung zwischen Farben und Gefühlen bestehe.

Dass Pink heute oft dem Weiblichen oder dem Homosexuellen zugeschrieben wird hat, laut der Historikerin und Kulturwissenschaftlerin Dominique Grisard, mit seiner Geschichte zu tun. Die Nazis verwendeten den Rosa Winkel im Holocaust für vermeintlich homosexuelle Männer. «Es gibt keinen inhärenten Grund, dass gerade Pink als ‘weiblich’ und ‘gay’ betrachtet wird», so Grisard. Ein Blick in die Geschichte zeige, dass Rosa erst in den Fifties als Mädchenfarbe betrachtet wurde. Mancherorts vollzog sich diese Entwicklung sogar noch später. «Die historischen Erkenntnisse scheinen den evolutionsbiologischen Spekulationen jedoch keinen Abbruch zu tun», sagt Grisard, die Gender Studies an der Uni Basel lehrt.  

Aufgrund der Gleichsetzung von Rosa mit Girlie-Weiblichkeit und Homosexualität und der damit verbundenen Angst, als schwul, trans oder feminin zu gelten, würden heterosexuelle Männer oft Mühe haben, pinke Klamotten zu tragen. Männern, die gerne Rosa tragen, sagt die Wissenschaftlerin aber: «Go for it!» Zu den heutigen Trendsettern zählen Hollywood-Star Brad Pitt, «James Bond» Daniel Crag, Sänger Harry Styles oder Tanzshow-Juror Joachim Lambi, die in Pink ausnehmend gute Figur machten.

Heftige Reaktionen aufgrund eines pinken Anzugs

Nicht nur der King of Rock ’n’ Roll, Elvis Presley, wurde, wie man in der diesjährigen Verfilmung seines Lebens sehen konnte, aufgrund seines pinken Anzugs blöd angemacht. Auch TV-Ansager Jörg Kressig musste in den 1980er-Jahren aufgrund eines rosafarbenen Zweiteilers heftige Reaktionen einstecken. In einer Programmansage vor dem Eurovision Song Contest trug der Fernsehmann einen changierenden pinkfarbenen Seidenanzug. Worauf die Telefonzentrale im Leutschenbach fast zusammenbrach. «Die Zuschauer waren ob solcher Farbenpracht völlig schockiert», erzählt der heute 60-Jährige. Die Kommentare seien teilweise so unter der Gürtellinie gewesen, dass Kressig sie im DISPLAY-Interview nicht mehr wiederholen möchte. Immerhin habe er die scharfen Reaktionen in seiner «jugendlichen Unbedarftheit» easy weggesteckt. Weiter seien damals auch seine Chefs in jeder Situation hinter ihm gestanden.

Die Couture-Schneiderin Lisbeth Egli hatte den Anzug für Jörg Kressig zuvor extra für die Bühnenmoderation der damaligen Miss Schweiz-Wahlen entworfen. «Ich hatte bei der Auswahl keinerlei Bedenken wegen der Farbe», gibt der mit seinen damals 19 Jahren jüngste Ansager des Kontinents zu Protokoll. «Für mich war Pink das Normalste der Welt.» Aber als er bei der Wahl damit auf die Bühne trat, sei schon ein Raunen durch den Saal gegangen.

«Auch heute gibt es manchmal noch Reaktionen auf spezielle textile TV-Momente», sagt Caterina Soldani, die die Moderatorinnen und Moderatoren von SRF berät. Es komme aber immer weniger zu solchen Feedbacks des Fernsehpublikums. «Im Hintergrund des laufenden Gender-, Sexismus- und Diversity-Dialogs geben sich heute hoffentlich die wenigsten Menschen noch die Blösse, wegen eines pinkfarbenen Anzugs gleich die Nerven zu verlieren», sagt Martina Loepfe, die zum Auftrittsberatungs-Team des Schweizer Fernsehens gehört. 

Die Tagesschau wäre wahrscheinlich der Ort, wo ein pinker Blazer am meisten Reaktionen auslösen dürfte. «Das Styling soll nicht mit dem Inhalt der Sendung konkurrieren», erklärt Loepfe. Studien hätten gezeigt, dass die Zusehenden mit Pink zu sehr abgelenkt würden.

Pinke Farbakzente

In der Damenwelt ist die Farbe Pink seit dem Frühling modisch gerade sehr angesagt. Vor ein paar Wochen hat Pierpaolo Piccioli für Valentino die gesamte Herbst-Winter 22/23-Show in nur einer Farbe gezeigt: Pink.

Mittlerweile hätten sich die Menschen, laut Jörg Kressig, aber auch an Pink für Männer gewöhnt. «Vielleicht nicht gerade als ganzen Anzug, aber doch als Pullover, Hemd oder Krawatte.» Dezente rosa Hemden seien auch im Businessbereich mittlerweile akzeptiert. 

Das rosa Hemd des US-amerikanischen Modelabels «Brooks Brothers» für Männer gibt es übrigens seit den 1940er Jahren. Damals kam die Freizeitmode für Männer auf, und es wurde salonfähig, dass Männer des Bürgertums nicht immer nur einen dunklen Anzug trugen. Denn so konnten sie zeigen, dass sie über (freie) Zeit verfügten, also wohlhabend genug waren, sich Hobbys zu widmen. «Pink hat also nicht nur ein Geschlecht oder eine Sexualität, sondern in diesem Fall auch eine Klasse», sagt Kulturwissenschaftlerin Dominique Grisard gegen­über DISPLAY.

Rosa ist Pink mit Weiss

Der frühere Fernsehansager Jörg Kressig arbeitet heute als Beauty-Experte, Autor und Fotograf. Im Zürcher Niederdorf führt er ein eigenes Atelier für Farb- und Stilberatung. Pink ist die etwas grellere Variante der Druckfarbe Magenta. Auch wenn wir hier im Text Rosa als Synonym für Pink verwendet haben, unterscheidet der Farbenfachmann natürlich viel subtiler: «Rosa ist Pink mit einer Beimischung von Weiss und wirkt dadurch etwas dezenter und romantischer – weniger dramatisch», wie es Kressig ausdrückt. Lachs gehört übrigens nicht zu den Pinktönen, weil es als Farbe mit Gelb unterlegt ist und eben nicht mit Blau.

Wem steht Pink denn überhaupt? Ein knalliges Pink passt laut Kressig einzig den Wintertypen. Das sind eher dunkelhaarige Männer und Frauen, die einen kalttonigen Hautunterton besitzen. Die etwas gedämpftere, pudrigere Pink-Variante könne auch von ebenfalls kalttonigen Sommertypen mit eher mittlerem bis hellerem Haar getragen werden. 

(Nicht) alle sollten Pink tragen

Alle warmtonigen Typen mit natürlich rotblondem oder rotstichigem dunklerem Haar sollten auf blaustichige Pinktöne verzichten, so der Experte, der seit mehr als 30 Jahren eine eigene Pflege- und Dekorativkosmetiklinie hat. Diesen sogenannten Frühlings- und Herbsttypen passe Pink nicht, weil diese Farbe bei solchen Personen unvorteilhaft zum Teint wirke. «Bei ihnen sind eher gelbstichige Lachs- Rost- oder Orangevarianten angesagt.»

Pink, Rosarot oder Fuchsia setzen tolle Farbakzente und werden im TV je nach Sendungsdekor gut eingesetzt, erklärt die Moderator:innen-Beraterin des Schweizer Fernsehens, Martina Loepfe. «Auch im normalen Leben sollten die Menschen viel mehr Pink tragen, es ist fröhlich und zurzeit auch wieder sehr, sehr im Trend». Dabei spiele es keine Rolle, ob man als Mann auf Männer oder Frauen stehe: «Alle sollten Pink tragen!» Nicht nur der deutsche Tanz-Experte Joachim Llambi, der sich immer gern in einem pinken Anzug zeigt, so SRF-Frau Caterina Soldani. 

Loepfe ist mit ihrer Kollegin der Meinung, dass es heute nicht mehr speziell Mut braucht, um die Farbe Pink zu wählen. Beide haben lange als Mode-Redaktorinnen und Stylistinnen gearbeitet. «Wir kennen keine Vorurteile und finden, wenn’s passt: let’s do it!»

«Wer heute als Mann Pink trägt, distanziert sich bewusst von der Mehrheitsgesellschaft mit traditionellen Männerbildern», erklärt Psychologe Udo Rauchfleisch. Einer solchen Persönlichkeit sei es gleichgültig, ob ihre Umgebung an der grellen Farbe Anstoss nehme, weshalb sie Pink voller Überzeugung trage. Wenn man als Gay seine sexuelle Orientierung mit Pink offen zur Schau stelle, würde man damit zeigen, dass man selbstbewusst sei und sich nicht den Forderungen der toxischen Macho-Männer unterwerfen wolle. 

Selber bezeichnet Rauchfleisch Pink nicht als seine persönliche Lieblingsfarbe. «Ich habe nur ein paar pinke Kleidungsstücke im Kleiderschrank». Die Farbe empfinde er aber als belebend und erfrischend. Auch Jörg Kressig zieht heute höchstens mal eine pinke Krawatte an. «Beruflich bin ich eher in dezenteren, neutralen Tönen unterwegs, damit meine Kunden besser zur Geltung kommen.»

Der Baselbieter ist grundsätzlich gegen jegliche Klischees. Jeder Mensch solle sich so kleiden wie er will, egal ob gay, heterosexuell oder jede andere Lebensvariante. «Unsere Welt darf ruhig etwas farbenfroher werden», fügt Jörg Kressig an. «Farben erheitern das Gemüt und die Psyche.»

Ein wunderbares Beispiel dafür sei die Zürcher Sängerin LA LUPA. Jedes Mal, wenn er ihr auf der Strasse in ihren wunderbar kombinierten, farbenfrohen Kleidern und Hüten begegne, hüpfe sein Herz. «Und so soll es doch sein!»


Hellblau und Rosa 

für alle Geschlechter der Oberschicht – Die geschlechtliche Zuordnung von Hellblau und Rosa sorgt seit dem frühen 20. Jahrhundert immer wieder für Gesprächsstoff. In einer Ausgabe einer amerikanischen Frauenzeitschrift wurde 1918 Blau im Vergleich zu Rosa als die «weichere, weiblichere Farbe» betrachtet. Auch in einer Warenhaus­umfrage sprach sich 1927 die Mehrheit der amerikanischen Shoppinghäuser für Rosa als Bubenfarbe aus. Dennoch sei die Behauptung falsch, Rosa habe man früher als Farbe für Buben betrachtet, erklärt die Wissenschaftlerin Dominique Grisard. «Die Farben Rosa und Hellblau wurden von bürger­lichen und gut betuchten Kindern beiden Geschlechts getragen. Auch Frauen trugen beides. Nur erwachsene Männer verschmähten bunte Farben», fasst die Historikerin zusammen. Zu einer «Pinki­fizierung» der Mädchenwelt sei es erst ab den 1990er Jahren mit dem Aufkommen von Disney-Prinzessinnen und später auch der Prinzessin Lillifee gekommen.

Text Mark Baer