Fehlt mir etwas ohne Religion?

Hallo Tim

Mein Partner meint, ohne Religion fehle dem Menschen etwas Entscheidendes. Wir geraten dabei immer wieder in unversöhnliche Streitereien, denn ich bin entschiedener Atheist. Oder fehlt mir wirklich etwas?

Jan (25)

Hallo Jan

Du jedenfalls fühlst es nicht so. Also wäre die naheliegende Antwort: nein. Aber selbstverständlich kann man sich deiner Frage auch philosophisch nähern. Und so kommt man gewiss zu einer differenzierteren Antwort.
Religionen sind geprägt von grösstenteils über Jahrhunderte bestehenden und sehr mächtigen Institutionen. In der westlichen Welt war die Reformation ein erster Schritt zur Hinterfragung der damals allmächtigen katholischen Kirche. Seit der Aufklärung machen die Wissenschaft und das eigene Denken religiösem Glauben den Platz streitig. Gut, dass dem so ist. Doch ist damit Gott wirklich tot?

Atheisten beziehen sich jedenfalls darauf. Allerdings können auch sie seine Inexistenz nicht beweisen. Angesichts der überaus faszinierenden Entwicklung unserer irdischen Natur, ganz besonders der Entwicklung der Arten, beschrieben in Darwins Evolutionslehre, vor allem aber auch angesichts der Entstehungsgeschichte unseres Universums, komme ich jedenfalls nicht aus dem Staunen heraus.

Grosse Fragen ohne Antworten

Unsere Sonne ist bloss einer von etwa 200 Milliarden Sternen in unserer Galaxie, der Milchstrasse. Und diese ist nur eine von wiederum etwa 200 Milliarden Galaxien im Universum. Dabei beträgt die Entfernung unserer Sonne zum nächstgelegenen Stern – der Proxima Centauri – bereits unfassbare 4,2 Lichtjahre oder 40 Billiarden Kilometer. Und das Weltall breitet sich seit 14 Milliarden Lichtjahren immer noch weiter aus.

«Seit der Quantenphysik wissen wir, dass sich unsere Natur viel komplexer verhält, als es den Anschein macht»

Wie kann man angesichts dieser Dimensionen abschliessend festlegen, dass es keine höhere Kraft gibt? Es ist gewiss sinnvoll, vom Bild eines alten, graubärtigen Gottes Abstand zu nehmen. Doch seit der Quantenphysik und der Relativitätstheorie wissen wir, dass sich unsere Natur – und damit auch wir selbst – sehr viel komplexer Verhalten, als es den Anschein macht. So bemerkte etwa deren grösster Vertreter, Albert Einstein: «Die Intuition ist ein göttliches Geschenk, der denkende Verstand ein treuer Diener. Es ist paradox, dass wir heutzutage angefangen haben, den Diener zu verehren und die göttliche Gabe zu entweihen.»

Wir sind alles Agnostiker

Gefühle und Empfindungen als göttliches Geschenk – welch geniale Beschreibung! Aus dieser Sicht wird jedenfalls klar: Wir sind alle Agnostiker (a-gnosis altgriech. für Un-Kenntnis). Doch vielleicht können wir im authentischen Umgang mit unseren tiefgründigen Gefühlen und Empfindungen etwas vom «göttlichen Geschenk» erahnen. Eine solche Spiritualität bedarf tatsächlich keiner klerikalen Instanz.

In diesem Sinne wünsche ich allen eine besinnliche Adventszeit und frohe Weihnachten, Tim ||


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