depression: Pille oder Therapie?

Hallo Tim
Seit der Trennung von meinem langjährigen Freund stecke ich in einer Krise.
Von meinem Hausarzt bekomme ich Antidepressiva. Nun hörte ich verschiedentlich, Medis nützten gar nichts. Stimmt das?
Thomas (52)


Hallo Thomas

Tatsächlich kam vergangenes Jahr eine vieldiskutierte dänische Metastudie, die mehr als 500 Forschungsarbeiten auswertete, zum Schluss, dass bei leicht- und mittelgradigen Depressionen Antidepressiva nicht nachweisbar besser wirkten als Placebo, also Pillen ohne Wirkstoff. Damit bestätigte sie eine analog angelegte englische Studie aus dem Jahre 2008.

Neun von zehn Patienten hatten laut diesen beiden wissenschaftlichen Auswertungen keinen höheren Nutzen aus der Behandlung mit Antidepressiva als Patienten, die Placebo bekamen. Einzig in der Kategorie der schweren Depressionen zeigen antidepressive Medikamente eine nachweisbare Wirkung. Wenn man darüber hinaus berücksichtigt, dass viele Menschen bei Einnahme von Antidepressiva unter Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme, einem «Wattegefühl» oder sexueller Lustlosigkeit leiden, darf man sich schon die Frage stellen, wie sinnvoll eine solche Medikation eigentlich ist. 

Ursachen der Krise angehen

Beide Metastudien kamen hingegen zum Schluss, dass Psychotherapie – ob mit oder ohne begleitende antidepressive Behandlung – langfristig und nachhaltig wirkt. Ganz offensichtlich handelt es sich bei Depressionen also nicht oder zumindest nicht ausschliesslich um eine Störung von Neurotransmittern im Hirn, die nur pharmakologisch therapiert werden kann. Vielmehr sollte man psychologischen oder sozialen Ursachen nachgehen, welche die momentane Lebenskrise verursachen. 

In einer Psychotherapie werden dabei nicht nur die bewussten – sprich: die
offensichtlichen – Ursachen einer Depression angegangen. Darüber hinaus werden auch unbewusste – sprich: längst aus dem Bewusstsein verdrängte – Wurzeln freigelegt. Diese können bis weit in die Jugend und Kindheit zurückgehen. 

Oft sind wir nämlich unbewusst in Mustern gefangen, die ihren Sinn längst verloren haben. Dennoch gehen wir entsprechende Lebenslagen immer noch auf ähnliche Art und Weise wie damals an. So stolpern wir immer wieder über ähnliche oder gar dieselben Verhaltensweisen. Gerade in Beziehungen zeichnet sich dies oft deutlich ab und führt nicht selten zu ausgeprägter Unzufriedenheit und in der Folge häufig zur Trennung.

Die Scham der Schwulen

Schwule haben vor ihrem Coming-out ganz spezifische, oft schwierige und mitunter traumatisierende Erfahrungen mit ihrem Schwulsein gemacht. Vor allem in noch weit homophoberen Jahrzehnten als heute wurden sie verlacht und schämten sich für ihr Anderssein, oft schon Jahre, bevor ihnen klar wurde, dass sie schwul sind. 

Solche vielmals verdrängte Kindheitserfahrungen sollten in einer Krise unbedingt bewusst gemacht und geheilt werden, denn sie bilden das Fundament fürs Erwachsenenleben. 

Herzlich, Tim


Das Kind im schwulen Mann

Buchtipp
Tim Wiesendanger: Das Kind im schwulen Mann – In seelischen Krisen zum wahren Selbst finden. Vandenhoeck & Ruprecht.

Infos: www.v-r.de


 

Tim Wiesendanger steht dir für Fragen gerne zur Verfügung

Sende deine Fragen mit dem Betreff DISPLAY an:
info@tim-kurt-wiesendanger.ch
www.tim-kurt-wiesendanger.ch/
Tim beantwortet deine Fragen anonym


DISPLAY, das Premium Lifestyle-Magazin für Gays und Freunde. DISPLAY ist führend in den Bereichen Kultur, Politik, Fashion, Style, Trends und Reisen.