Ihr Kinderlein kommet endlich!

Regenbogenfamilien­gründung auf chaotische Art: «Vier werden Eltern», die neue Komödie von Michael Elsener und Roman Riklin rund um neue Familienmodelle und die Sehnsucht nach eigenem Nachwuchs.

Text Wolfgang Bürgi

Wenn der Kinderwunsch gross ist, kann es sein, dass die eigene Wertvorstellung auf den Kopf gestellt werden muss. So geht es auch Binja und Samy, die jahrelang erfolglos versucht haben, ein Kind zu bekommen. Bei Nico und Janosh hingegen lehnten die Behörden die Bewerbung für eine Adoption ab. Was liegt also näher, als gemeinsam eine Regenbogenfamilie zu gründen?

Kontrovers diskutierte Themen in eine heitere Komödie zu packen, die zum Nachdenken anregt? Das ist ein Tanz in luftiger Höhe. Für DISPLAY habe ich mich mit Michael Elsener und Roman Riklin unterhalten, die genau das gewagt haben.

DISPLAY: «Vier werden Eltern» – eher ein heiteres Chaos zwischen Geschlechtern und sexueller
Orientierung oder Aufbereitung eines ernsten Themas?

Michael: In meinem Umfeld gibt es viele Paare, die sich Kinder wünschen. Manche stehen plötzlich mit drei Kids da, bei anderen klappt es nicht. Der Frust, der bei einem unerfüllten Kinderwunsch zusammenkommt und dass viele nicht offen darüber reden können, hat mich beschäftigt. Wenn ein Thema tabuisiert ist, habe ich das Bedürfnis, dies mit Humor zu entkrampfen. Es war eine spannende Erfahrung, dies gemeinsam mit Roman zu tun, der dreifacher Vater ist.

Roman: Auch wenn es eine Komödie ist, geht es in unserem Stück um gesellschaftspolitisch brisante Fragen: Gibt es das Recht auf ein Kind? Ist der unerfüllte Kinderwunsch eine «Krankheit»? Sollen Versicherungen die Kosten für künstliche Befruchtungen übernehmen? Werden sich in Zukunft Mehreltern-Familien und Co-Elternschaft etablieren? Wie sehen neue Familien-Modelle aus? Solche Fragen liegen in der Luft und sind das Drahtseil, auf dem unsere Figuren balancieren.

Diese Themen verlangen Offenheit beim Publikum. Nach wie vor sind aber viele Menschen in alten Mustern gefangen. Wie holt ihr die ins Boot?

Michael: Wir haben Charaktere geschaffen, die für alle zugänglich sind, oder Roman?

Roman: Ja! Ich glaube, für alle gibt es Möglichkeiten, sich zu identifizieren. Wir wollen dem Publikum nicht unsere Meinung aufzwingen. Unser Stück bietet keine Lösungen, sondern diverse Perspektiven an. Wir wollen zum Denken anregen und Verständnis für verschiedene Nöte schaffen.

Michael: Alle Charaktere sind mit dieser Situation zu viert gefordert und teils überfordert. Alle zeigen auch ihre Schwächen. Das Publikum soll dabei einen vergnüglichen Abend erleben. Sich wiedererkennen in den Figuren. Und vielleicht gehen die Leute auch raus und sind offener für neue Formen des Zusammenlebens.

Leihmutterschaft und die künstliche Befruchtung waren schon bei der Abstimmung zur Ehe für alle umstritten. Damit bringt ihr das Publikum an seine Grenzen.

Roman: Unsere Figuren diskutieren diese Themen ja nicht mit politischen Argumenten, sondern leben sie aus ihrer persönlichen Perspektive. So kommt das vermeintlich Brisante schlicht menschlich daher.

Michael: Für mich geht es im Leben darum, die Sicht des Gegenübers nachvollziehen und verstehen zu können. Soll ein Paar auf Kinder verzichten müssen, nur weil es schwul lebt? Unsere Figuren bringen einem das Thema Leihmutterschaft auf zugängliche Art näher.

Mit «Vier werden Eltern» setzt ihr euch auch für alternative Familienmodelle ein. Was ist für euch Familie?

Michael: Für mich ist Familie ein Ort, an dem ich meine Schwächen und Unsicherheiten zeigen kann. Wo wir auch streiten können. Und uns wieder versöhnen. Weil wir das alle wollen. Weil wir den Wert unserer Beziehung höher gewichten, uns gegenseitig glücklich sehen möchten. Ich nenne auch meine Freund*innen-Clique «La Famiglia».

Roman: Familie bedeutet für mich, dass wir Beziehungen pflegen und einander auf dem Weg zum Glück begleiten. Beziehungen verändern sich, aber die Familie bleibt, auch wenn Jugendliche sich von den Eltern distanzieren oder Eltern kein Liebespaar mehr sind.

Eine kleine Familie seid ihr ja auch gewesen, als ihr das Stück geschrieben habt. Die Entwicklung des Textes stelle ich mir aber nicht so leicht vor. Immerhin seid ihr Alphatiere der Unterhaltung. Wie muss ich mir das vorstellen?

Michael: (schmunzelnd) Sollen wir die Frage getrennt voneinander in separaten Zimmern beantworten?

Roman: Verschiedene Perspektiven und Lebenserfahrungen führen bei einer solchen Zusammenarbeit zu unzähligen kleinen Meinungsverschiedenheiten, die diskutiert werden müssen, bis jeder mit jedem Satz einverstanden ist. Wir haben beide einen dicken Kopf und klare Vorstellungen, können aber auch zuhören und wollen verstehen, warum das Gegenüber eine andere Meinung hat. Ohne Kompromissbereitschaft   →

und Vertrauen in die Qualitäten des anderen wäre eine solche Zusammenarbeit unmöglich. Wir sind beide konfliktinteressiert im Sinne von lösungsorientiert. 

Michael: Der Vorteil des gemeinsamen Schreibens ist: Wer eine Dialog-Passage vorschlägt, bekommt unmittelbar Feedback. Ein Lachen. Eine Kritik. Einen Input, wie man beispielsweise den Wutausbruch einer Figur noch knackiger formulieren könnte. So kamen wir etwas langsamer vorwärts, dafür passierte jeder Satz unsere Kritikmühle und ist nun Riklin- und Elsener-geprüft. 

Worüber habt ihr am meisten gelacht während des Schreibens?

Roman: Bei der Vorstellung, wie Binja und ihr schwuler Freund unter Beobachtung ihrer Partner auf dem Bettsofa ein Kind zu zeugen versuchen. Da prallen Welten, Sichten und Tabus aufeinander. 

Mit Alexander Stutz liegt die Inszenierung in den Händen eines jungen Regisseurs. Wie stark nehmt ihr Einfluss?

Michael: Wir schauen ab und zu bei den Proben vorbei. Aber wir lassen das Baby möglichst selbständig in dieser erweiterten Familie aufwachsen. Oder sollten wir mehr babysitten gehen, Roman?

Roman: Ich vertraue auf die Erfahrung von Schauspieler*innen, Regisseur und Pro-
duzenten. Es braucht uns da eigentlich nicht.

Mit Dominik Flaschka habt ihr einen erfahrenen Produzenten im Hintergrund. Was seht ihr als das grösste Plus in dieser Zusammenarbeit?

Roman: Ohne mutige und risikofreudige Produzenten gibt es keine Uraufführungen. Dominik Flaschka ist ein erfahrener Theatermacher, Unterstützer und Förderer. Dass ein neues Autoren-Team aus dem Umfeld der Shake Company eine Komödie zu einem aktuellen und relevanten Thema anbietet, hat ihn sofort hellhörig gemacht. 

Michael: Schön fand ich, dass Dominik sehr rasch an unsere Komödie geglaubt hat. Das hat bei uns zusätzliche kreative Energie freigesetzt.   


Michael Elsener (37)
ist Satiriker, Parodist und Moderator. Er hat einen Master in Politikwissenschaften. Der Zuger gehörte zum Cast von «Giacobbo/Müller» und hatte mit «Late Update» seine eigene Satire-Show im SRF. Vor
Abstimmungen liefert er Argumente zu den Vorlagen in satirischen Video-Clips – pointier­ter und schlüssiger als das Abstimmungsbüchlein.

Roman Riklin (50) 
kreiert Theaterstücke, Drehbücher, Musik und Texte für Theater, Film, Funk und Fernsehen. In den letzten 30 Jahren wurden zahlreiche seiner Werke aufgeführt – viele davon preisgekrönt, unter anderem das Erfolgsmusical «Ewigi Liebi» und «Mein Name ist Eugen». Als «Riklin & Schaub» bespielt das ehemalige Mitglied von «Heinz de Specht» die Kleintheater und mit dem «Secondhand Orchestra» und Shows wie «Freddie – Die Mundartshow» (Swiss Comedy Award 2022) die grossen Bühnen.
Riklin ist Vater von drei Kindern und lebt in Zürich.