WACHSENDE GEWALT GEGEN SCHWULE

Händchenhalten auf der Strasse? Den Liebsten öffentlich küssen? Das kann gefährlich sein. Welches sind die Gründe für die wachsende Schwulenfeindlichkeit? Und wo findest du Hilfe?

Hass tropfte giftig aus den Social Media und Schmähungen übelster Sorte ergossen sich über ein Promi-Paar, das sich vor laufender Kamera die Liebe gestand. Die Glücklichen waren Sven Epiney und sein Partner Michi beim Finale der Tanzsendung «Darf ich bitten?». Das war ein Beispiel von Homophobie in den Social Media, einem bevorzugten Ort von Hate Speech.

Aber Homophobie gibt es auch real. Das aktuellste Beispiel: ein junges Paar wurde Mitte September im Zürcher Niederdorf von fünf jungen Männern in der Nacht spitalreif geschlagen – nur weil die beiden sich küssten. Und kurz vorher wurde ein schwules Paar, das von der Zürcher Pride nach Hause kam, vor der Haustür angegriffen und brutal traktiert – nur weil die beiden schwul waren.

Ähnliche Meldungen hören wir immer wieder – oft werden Schwule von Gruppen junger Männer angegriffen. Doch viele solcher Attacken bleiben unbekannt, weil die Opfer sich gar nicht melden.

WOHER KOMMT DER BACKLASH?

Diese schwulenfeindlichen Vorfälle erstaunen, weil Homosexualität heute gesellschaftlich akzeptiert ist wie nie zuvor. Es findet jährlich eine Pride statt, es gibt eine Gay SVP, Pink Cops, LGBT-Stadtpräsidentinnen, pinke Parlamentarier* innen und nicht zuletzt die eingetragene Partnerschaft.

Also woher kommt dieser Backlash? Einer, der das wissen muss, ist Roman Heggli, Geschäftsleiter von Pink Cross. Er bestätigt die Häufung von Vorfällen im Bereich Hate Crimes. Wo sieht er die Gründe? «Wir Schwulen sind heute sichtbarer unterwegs: Viele getrauen sich, so rumzulaufen, wie sie möchten – und sind somit auch als queer erkennbar.» Und Angelo Barrile ergänzt: «Sicherlich wehren wir uns heute auch viel mehr und sprechen über solche Erfahrungen.»

Trotzdem relativiert der Arzt und SP-Nationalrat Angelo Barrile ein wenig: «Ich kann zwar nicht bestätigen, dass Homophobie generell wächst» – er hat schon vor 20 Jahren im Zürcher Niederdorf einen tätlichen Angriff erlebt – aber er ist der Ansicht, «dass die Medien heute sensibilisierter sind und eher über homophobe Gewalt berichten als früher». Zugenommen haben seiner Meinung nach aber «Beschimpfungen und Beleidigungen in den sozialen Medien».

SICHTBARKEIT DER SCHWULEN

Diese Freizügigkeit aber provoziert scheinbar, «denn», so Heggli, «rückständigen Personen ist das ein Dorn im Auge». Und die Sichtbarkeit der Schwulen irritiert einige unfreundliche Mitbürger wohl auch. Heggli: «Sie wissen sich nicht anders zu helfen, als uns mit Homophobie zuzudecken. Ich glaube, einige dieser Personen bekommen ‘Angst’, dass die Gesellschaft offener wird und es nicht mehr goutiert wird, wenn sie gegen Minderheiten Hass verbreiten können».

«Die Gesellschaft können wir nur verändern, wenn wir uns zeigen und sichtbar sind»

Roman Heggli, Pink Cross

Früher dachten Schwule vielleicht eher noch, dass man solche Pöbeleien und Angriffe einfach über sich ergehen lassen muss. Heute wehren wir uns dagegen und machen auf die Angriffe aufmerksam.

VON PÖBELEI BIS GEWALT

Welcher Art sind die Attacken? Heggli: «Fast alle von uns kennen sie, wenn wir uns sichtbar als LGBT-Personen in der Gesellschaft begegnen: Hand in Hand mit einem anderen Mann wird man blöd angepöbelt – manchmal eher versteckt, manchmal lauthals und höchst homophob.» Oft arten die Attacken in Gewalt aus, so Heggli: «Leider kommt es oft zu tätlichen Angriffen, was mich sehr aufwühlt. Die Konsequenzen daraus, so Heggli: «Wir müssen weiterkämpfen!»

DIE TÄTER: TOXISCH MÄNNLICH    

Stellt sich die Frage, welches diese homophoben Täter sind? Oft sind die Aggressoren junge Männer in Gruppen, und einige Beobachter sagen, dass die Täter vermehrt aus machoiden Kulturen stammen. Stimmt dieser Befund?

Das treffe zwar oft schon zu, sagt Heggli, «aber homophobe Personen gibt es in allen Gesellschaftsschichten und jeglicher Herkunft.» Oft sind es Männer, die man als toxisch männlich bezeichnet. «Das heisst», so Heggli, «heikel wird es meist dann, wenn sich eine Gruppe stark über ihre Männlichkeit und ihr männliches Getue definiert. Um ihre Männlichkeit zu zelebrieren und sich gegenseitig zu beweisen», sagt Heggli, «schlagen sie dann Schwule ab und belästigen Lesben.» Deshalb fordert der Pink Cross-Chef: «Das müssen wir anprangern!» Es darf nicht sein, dass solches Gehabe noch gefördert wird, wie das zum Teil in Sportvereinen oder im Militär noch immer gemacht wird.

Die Vermutung, dass Täter meist aus machoid geprägten Gesellschaften stammen, kann Angelo Barrile nicht bestätigen. Er sieht folgendes Muster: «Die Täter sind meist Gruppen junger Männer, häufig ist auch Alkohol im Spiel.»

SICH DUCKEN? NEIN!

Schliesslich stellt sich die Frage: Sollten sich Schwule zu ihrem eigenen Schutz diskret benehmen, das heisst zum Beispiel darauf verzichten, händchenhaltend zu spazieren oder sich öffentlich zu küssen?

Heggli, selber schon Opfer einer homophoben Attacke geworden, antwortet dezidiert mit «Nein, bitte nicht!» Und sagt kämpferisch: «Die Gesellschaft können wir nur verändern, wenn wir uns zeigen und sichtbar sind.» 

Er schliesst mit einem romantischen Gedanken: «Ich finde es wahnsinnig schön, sich ohne Angst und Rundumblick in der Öffentlichkeit zu küssen!» Immerhin schränkt er ein: «Leider müssen wir manchmal dennoch vorsichtig sein, zum Beispiel nachts auf einsamen Strassen.»

Welches Fazit zieht der Chef von Pink Cross in diesem heiklen Gebiet? «Wir dürfen uns nicht unterkriegen lassen und sollten immer wieder den Mut haben, öffentlich unsere Liebe zu zeigen. Die Community hilft, diesen Mut aufzubauen!» ||


LGBT-HELPLINE 

Hier findest du Hilfe und Beratung
Lgbt-Helpline   0800 133 133
Website: lgbt-helpline


WAS TUN?

TIPPS VON PINK CROSS

Bist du Opfer einer Gewalttat geworden, dann unternehme folgende drei Schritte:

1. Ich schütze mich und meine Freund*innen und bitte umstehende Personen um Hilfe

2. Ich merke mir das Signalement des Täters und die Fluchtrichtung

3. Ich rufe sofort die Polizei über die Notrufnummer 117

4. Allenfalls bitte ich Zeugen,  vor Ort zu bleiben.


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