Gegeneinander statt miteinander?

«Lass uns darüber reden» heisst das Motto der Zurich Pride 2023. Das Motto nimmt Bezug auf die Zersplitterung der Community: Wir machen nicht immer einen geschlossenen Eindruck, es gibt sogar Untergruppen der Buchstabenfamilie, die sich gegenseitig bekämpfen.

Eine Kannibalisierung der Community muss verhindert werden, findet DISPLAY.

Text Josia Jourdan

2023 ist einerseits ein erfreuliches Jahr: das Jahr, in dem gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz endlich heiraten dürfen, die erste trans Pride stattfindet und wir auch sonst in Sachen Sichtbarkeit und Gleichberechtigung für unsere Community schon viele Schritte weitergekommen sind. Und gleichzeitig gibt es immer mehr Konflikte innerhalb der eigenen Community. Woran liegt das? 

Pride für alle?

Letztes Jahr war das Motto der Zürich Pride «trans*vielfalt leben». Das allerdings erst nach einem Shitstorm auf sozialen Medien. Zuerst hiess das Motto «trans*normal». Ein Motto, das nicht nur trans Menschen, sondern viele aus der queeren Community irritiert hat. So kritisierte unter anderem Schrift-steller*in Donat Blum «in queeren Zusammenhängen auf das Wort ‹normal› zurückzugreifen, wo es doch gerade das sogenannte ‹Normale›, sprich die Norm ist, die uns seit Jahrtausenden unterdrückt, ist super problematisch». Für sein Statement bekam Blum einige Unterstützung aus der Community. Andere wiederum finden das Motto super. Trotzdem, der Shitstorm war zu gross und die Zurich Pride reagierte. Gemeinsam per Community-Voting wurde ein neues Motto bestimmt. Vielfältig ist unsere Community, und gerade deshalb gibt es wohl auch immer wieder Diskussionen und unterschiedliche Haltungen. 

 

«Genauso wie es bei Cis-Heteros unterschiedliche Haltungen gibt, gibt es die auch bei Queers»
Anna Rosenwasser


Vielfalt bedingt Diskussionen

Anna Rosenwasser, Autorin und LGBTQ-Expertin, spricht mit uns über das Thema. «Es geht nicht darum, dass wir uns alle in den gleichen Kreisen bewegen und das gleiche Verständnis von Queerness haben. Wir sind individuell und vielfältig, und es ist vollkommen klar, dass es daher auch Diskussionen gibt. Es gibt mehr Faktoren als bloss unsere Queerness für unsere Individualität und genauso wie es bei Cis-Heteros unterschiedliche Haltungen gibt, gibt es die auch bei Queers». Rosenwasser ergänzt zudem: «Viel wichtiger finde ich, dass wir lernen, eine Fehlerkultur zu leben. Fehler dürfen passieren und unterschiedliche Meinungen existieren. Wir sollten einander zuhören und gerade, wenn es um mehrfach marginalisierte Menschen geht, haben wir die Verantwortung, Kritik zuzulassen und daraus zu lernen». An der Zurich Pride und auch an vielen anderen Prides ist der Zusammenhalt jedoch spürbar – auch in diesem Jahr, in dem Zehntausende Teilnehmende ihre Solidarität bekundeten. Gemeinsam zeigen wir Sichtbarkeit für unsere Vielfalt und das unabhängig davon, in welchen Kreisen wir uns sonst bewegen.  


Ausgrenzung?

Explizite Gay- oder Lesbenpartys gibt es schon lange. Von Zersplitterung kann da nicht die Rede sein, sie sind vielmehr ein Safe Space für einen bestimmten Teil der Community und bieten Raum für Interessen und unterschiedliche queere Kulturen. Trotzdem bemühen sich immer mehr Veranstalter*innen, Events für alle zu organisieren. Ist der Trend also vielleicht gerade umgekehrt? Für Marco Uhlig  vom Heaven, das zuerst als Gayclub bekannt geworden ist und sich nun als LGBTQ+ Club definiert, ist wichtig, dass sich alle wohl fühlen. Er betont jedoch auch, dass er nicht vorhat, seine Kundschaft zu selektionieren und hofft durch unterschiedliche Angebote auch ein vielfältiges Publikum anzuziehen. Auch bei politischen und gesellschaftlichen Organisationen gibt es längst nicht bloss eine queere Organisation. Trotzdem und vielleicht gerade deshalb sind die wichtigsten Dachorganisationen in engem Kontakt. So bietet beispielsweise Pink Cross eine Kombi-Mitgliedschaft mit dem Transgender Network Schweiz an und erwähnt explizit, dass sie dessen Forderungen ebenso unterstützen. 


Wie können wir wieder besser zusammenhalten?

Trans Aktivistin Zayrah David meint «Als Community haben wir eine Verantwortung gegenüber allen Mitgliedern und wir müssen dafür sorgen, dass wir trotz unterschiedlichen Untergruppen zusammenhalten». Sie erklärt, dass Untergruppen dabei helfen, Sichtbarkeit zu schaffen. «Die trans Community braucht aktuell besonders viel Unterstützung», betont sie. «International werden transphobe Gesetze erlassen, in England hat sich die LGB Alliance geformt, die trans Personen explizit ausschliesst, und für trans Personen gibt es in der Schweiz zu wenig Sicherheit». Darum ist es ihr wichtig, dass die Pride dieses Jahr unter dem Motto «trans*vielfalt leben» stattgefunden hat. «Wenn Menschen an die Pride denken, haben viele die Sexualität im Fokus. Aber Geschlechtsidentität ist ebenso ein Thema unserer Community». Ihr ist es wichtig, dass da klar unterschieden und erkannt wird, dass unterschiedliche Thematiken präsent sind für trans Personen. Sie fühlt sich trotz allem wohl und als Teil der gesamten LGBTQ+ Community. «Wir sind am Ende immer noch eine Minderheit und da können wir es uns nicht leisten, uns auch noch gegenseitig fertigzumachen». Der Unterschied von Sexualität und Geschlechtsidentität ist zentral. Ebenso finden sich immer wieder neue Defini-
tionen und Identitäten, für die es früher schlichtweg keine Wörter gab. Zayrah betont darum, wie wichtig ihr auch die Sichtbarkeit von asexuellen und aromantischen Personen ist, die in unserer Community des Öfteren vergessen oder nicht ernst genommen werden. Basels Original -minu, der zu den wichtigen Stimmen für die schwule Community gehört, äussert sich gegenüber DISPLAY ebenfalls und betont «Früher haben wir für die Rechte von Homosexuellen gekämpft und jetzt ist es an uns, unseren Mitmenschen etwas zurückzugeben. Wir müssen zusammenhalten und dürfen nicht stehenbleiben».   

«Wir sind immer noch eine Minderheit und können es uns
nicht leisten, uns auch noch gegenseitig fertigzumachen»

Zayrah David

LGB Alliance in England 

2019 wurde in England eine Organisation gegründet, welche die trans Community explizit ausschliesst und als «Geschlechtswahnsinn» deklariert. Die Gruppierung findet vor allem unter radikalen Feministinnen und schwulen Männern Unterstützung. Gleichzeitig wird sie von vielen aktivistischen Gruppierungen kritisiert, gerade dafür, dass sie für Zersplitterung und noch mehr Hass innerhalb der Community sorgt. 

Sie bekämpfen Aufklärung bezüglich der Geschlechtsidentität in der Schule, sowie medizinische und psychologische Betreuung für trans Kinder und machen sich stark für gleichgeschlechtliche Sexualität sowie die Rechte von Homosexuellen und cis Frauen. In mehreren Statements haben Mitglieder der Organisation insbesondere trans Frauen ihre Geschlechtsidentität abgesprochen und sie als «nicht echte Frauen» bezeichnet.