«Heimlich stehe ich auf S/M»

Hallo Tim | Eigentlich spüre ich schon lange, dass mich S/M antörnt, doch habe ich mich bis anhin dafür geschämt und versucht, es zu verdrängen. Ich liebe es, erniedrigt zu werden. Nun habe ich aber Angst, dazu zu stehen.

Was wird mein Partner wohl sagen, wenn ich nach langjähriger Beziehung plötzlich mit S/M um die Ecke komme? Theo (51)

Hallo Theo
Selbstverständlich kann ich dir nicht sagen, wie dein Partner darauf reagieren wird. Aber ich kann dir versichern, dass, je selbstbewusster und gleichzeitig je einfühlsamer du dazu stehst, desto mehr Raum wird sich für euch auftun, aus deiner Präferenz etwas Konstruktives zu gestalten. Sei es, dass ihr S/M in eure Beziehung integrieren könnt, sei es, dass du diese Variante mit anderen ausleben kannst. Es kann also sein, dass es gleichzeitig darum geht, die Beziehung sexuell zu öffnen.

Coming-out: zu sich stehen

Wenn wir zu unserer homosexuellen Orientierung stehen, nennt man dies Coming-out. Das Wesentliche dabei ist, dass wir – zunächst vor uns selbst, dann vor dem Umfeld – zu etwas Zentralem unserer Persönlichkeit stehen, das nicht zur Heteronormativität passt. Auch heute noch erfordert dies Mut. Und wir Schwulen und Lesben sind zurecht stolz darauf, dass wir dieses Jahr 50 Jahre «Stonewall» feiern dürfen – quasi unser kollektives Coming-out.

Doch die sexuelle Orientierung stellt eben nur einen – wenn auch zweifellos sehr wichtigen – Aspekt unserer Persönlichkeit dar. Alles, was uns in der Tiefe ausmacht, ist für unsere Persönlichkeitsentwicklung wichtig. Denn mit all diesen Aspekten erkennen wir uns selbst. Und wir zeigen anderen: das bin ich. Diesen Prozess nenne ich «vertieftes Coming-out».


BUCHTIPP:
Tim Kurt Wiesendanger: Vertieftes Coming-out.
Schwules Selbstbewusstsein jenseits von Hedonismus
und Depression. Vandenhoeck & Ruprecht.


Sich dagegen zu sträuben und jemand anderen darstellen zu wollen, zieht weitreichende Konsequenzen nach sich. Es macht einen innerlich leer, unzufrieden und führt langfristig zu gesundheitlichen Problemen, sei es auf seelischer oder körperlicher Ebene. Gar keine gute Wahl!

Daher, Theo, lass dir nicht von gesellschaftlichen Vorstellungen vorschreiben, wie etwas zu sein hätte. Sei stolz darauf, wer du bist, und lebe dein Leben!

Lebenslanges Coming-out

Tatsächlich geht es von der Wiege bis zur Bahre darum, zu erfahren, zu erkennen und vor allem zu akzeptieren, wer man selbst ist. Dies mögen sexuelle Belange sein. Aber selbstverständlich gehört hierzu ebenso die seelische, geistige und spirituelle Identität.

Alles ist im Fluss – im Fluss des Lebens. Und so muss sich auch niemand dafür schämen, ein «Spätzünder» zu sein, wenn er «erst» nach Jahren oder gar Jahrzehnten seine Besonderheiten entdeckt und erkennt, dass es nun an der Zeit ist, dazu zu stehen und so die neugewonnene Identität in sein Leben zu integrieren.

Herzlich, Tim


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