50 Jahre HAZ: Kampftrupp und Safe Space

1972 machten sich die «Homos» auf zum Kampf. Sie gründeten die Homosexuellen Arbeitsgruppen Zürich, heute HAZ – Queer Zürich. 

Martin Naef, der 20 Jahre lang im HAZ-Vorstand agierte, gratuliert mit einem persönlichen Liebesbrief an die Organisation, die ihm und vielen anderen eine Heimat bot – und heute noch bietet. 

Text Martin Naef


Liebe HAZ – Queer Zürich, liebe Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich, liebe Organisation «Zürich liebt anders»: Herzlichsten Glückwunsch zum Jubiläum! Dies ist ein Liebesbrief. Und eine total persönliche und darum sehr umfassungslose Rückschau. Die wird aufgrund meines gleichen Alters wie ihr, aber späteren Eintretens in eure Welt, euch wohl kaum gerecht. Mir aber schon.

 

Der Anfang

Vermutlich gehört es zum Charme einer Bewegung, dass irgendwelche Papiere, die den Gründungseifer der HAZ einigermassen dokumentieren könnten, vergessen gingen oder bestenfalls im Zürcher Sozialarchiv unauffindbar sind. Vielleicht war und bin ich auch einfach zu faul dazu, danach zu suchen. Schauen wir auf die Situation damals. 1972. Ich war gerade auf die Welt gekommen. Zeitzeugenden zufolge war ich ein hübsches und anspruchsvolles, betreuungsfreudiges Bébé. Und das in Bern (Homosexuelle Arbeitsgruppen Bern, HAB, Gruss). Item. Da ich so frisch und darum null urteilsfähig war, überliess ich die politische Arbeit für uns Schwulen in meiner künftigen Heimat Zürich einstweilen der sich gründenden HAZ. Aus heutiger Sicht muss man sich vergegenwärtigen, dass wir damals in Zürich wegen einer langen Geschichte der Verfolgung, Registrierung und gesellschaftlichen Ächtung in der Dunkelkammer wohnten. Wer diese Vor-geschichte nicht kennt, der schaue den wunderbaren Film «Der Kreis» über Röbi und Ernst. Also gab es – ich war qua Bébé nicht dabei – offenbar einige Grundsätzler, die sich zusammenschliessen, politisieren und sich an einem Ort treffen wollten. Und das zu einem Zeitpunkt, als selbst das Flyern noch anders hiess. Irgendwie haben es diese Pioniere geschafft, mit der Zeit diesen Ort im Centro, am Sihlquai und darum für Scheue, Verklemmte und anders Gwundrige, einen Ort zu finden. Da das alles ja politisch war oder so genannt wurde, hat man das gemacht, was man immer macht, wenn es politisch oder auch nur sonst schwierig ist: Arbeitsgruppe. Da damals schon der Diversität verpflichtet, waren es ArbeitsgruppeN. Der Stein war gelegt.

Was wurde

Nun, ich habe die HAZ nach Jahren des Heranwachsens ja dann erst so anfangs Neunziger gesehen. Richtig gespürt nicht. Die waren ja immer noch am Sihlquai und sogar mir war das etwas zu basisbewegt. Welten vor der Google-Zeit war ich aber so froh über jeden noch so unfassbar lieb gestalteten Zettel über «Homosexualität», den mein Gymi in Winterthur fortschrittlicherweise versteckt aufliegen liess. Es gab mich also. Und ich hätte dahin kommen können, wenn ich mich denn getraut hätte. Ich hätte viel früher ins Centro sollen. Als ich noch so richtig in den Spot 25 gepasst hätte. Aber Arbeitsgruppen sind in der späten Postpubertät eher abschreckend. Ich ging in die RS, wo es dann passierte. Also Freund, Trennung, T&M. Ich wurde dann doch endlich politisch und entgegen meinem Naturell darum wütend. Es gab da Ungerechtigkeiten, und andere, die das auch so sahen. Und dann mal ins Centro. Ich entdeckte bei einer langen (das gab es noch auf DRS 1 oder 2) Radiosendung die Wichtigkeit, sich zu zeigen. Die HABS (hallo Basel) hatte auf dem Klaraplatz in Kleinbasel ein Ehebett für zwei Männer aufgestellt, die sich darin (sittsam bekleidet) räkelten. Radio DRS hatte ihre beste Reporterin hingeschickt, die Räkelnde und Passierende befragte – und begeistert war und Begeisterung vermittelte. Ich war auch begeistert.

Meine Zeit

So geprägt ging ich in die Politik. Und sie (die Politik) hat sich, über viel zu lange Jahre, dann doch bewegt. Nach der ersten Wahl in ein Parlament (den Zürcher Verfassungsrat, wo wir dann doch immerhin die Anerkennung nicht ehelicher Partnerschaften durchgebracht haben) auch in den Vorstand der HAZ. Hier blieb ich fast zwanzig Jahre lang, weil, was ich antraf, war so vielfältig, wie die Bedürfnisse jener Zeit. Was haben wir nicht alle gestritten über alles! Wie das so ist in einer Bewegung. Viele Freunde, die ich in anderem schwulem Zusammenhang sehe, sagen, das sei total links. Also politisch. Erstens kann eine Emanzipationsbewegung auch für schwule Männer nicht unpolitisch sein, sonst ist sie ersteres nicht. Zweitens muss eine solche Bewegung immer ihre Lernfähigkeit behalten. Da heisst, immer politisch sein, nicht einfach links – oder zumindest nicht immer.

Und heute?

Für alle, die diese HAZ und ihr historisch unendlich wertvolles Bekenntnis, ihre mutige Geschichte kennen – es gibt vorab eines zu sagen: Der lange angedachte und heute funktionierende Öffnungsschritt zu LGBTIQ* ist auf einem guten Weg. Wir sind nicht mehr nur die Schwulen. Und das ist für die gesamte Community mehr als überfällig und mehr als gut so. Und dann auch noch dies: Es ist heute einfach, sich zu seinem Leben, zu seinen Bedürfnissen und allem, was dazugehört, zu informieren. Wir haben aber auch festgestellt, dass die Nachfrage nach persönlicher Beratung und Unterstützung, gerade im Coming-Out-Prozess, der mindestens gegenüber der Familie immer noch dieselben Unsicherheiten und Ängste auslöst, eher zugenommen hat. Das leisten wir. Die «Arbeitsgruppen» sind nicht mehr die gleichen. Es gab da zwischenzeitlich auch mehr Gruppen als Arbeit. Und sie waren klein. Sie sind aber heute divers. Die Stadt Zürich hat dies immer mitgetragen und tut dies mit ihrer Unterstützung heute auch. Auch und gerade mit unserem Regenbogenhaus, über dessen Verwirklichung wir alle glücklich sind. Aber, liebe Freund:innen, es gibt da draussen auch noch die Welt, in der vieles zu tun bleibt. Politisch und so. Die HAZ sind und waren hier Engagement, dort wo man es sieht, und auch dort, wo nicht. Merci dafür, liebe HAZ.

 


50 Jahre queeres Engagement: 13 Tage für die Community

Seit 50 Jahren sind die HAZ – Queer Zürich vorne mit dabei, wenn es gilt, die Situation queerer Menschen zu verbessern. Vom 30. August bis zum 11. September wird das Jubiläum gefeiert. Ganz Zürich ist eingeladen.
Ganze 13 Tage feiert der LGBTQ-Verein HAZ – Queer Zürich sein 50jähriges Bestehen mit 26 Veranstaltungen. «Gewisse Veranstaltungen richten sich ausschliesslich an Queers, zu anderen sind alle Interessierten eingeladen.», so Geschäftsführer Hannes Rudolph. «Eingeladen ist wörtlich zu verstehen. Fast alle Workshops, Vorträge und Kulturanlässe sind gratis». Ein Höhepunkt für alle ist sicher die grosse HAZ x Offstream-Party, die am Samstag, 3. September im Exil steigt. Denn das queere Leben besteht nicht nur aus Arbeit, sondern auch aus viel Spass!

Als Startschuss gibt es am 30. August einen filmischen Rück- und Ausblick in 50 Jahre Community im Kino Kosmos. Bis zum 11. September gibt es im Regenbogenhaus Podiumsdiskussionen zu queerer Politik, Religion, Beziehungsformen und ein englischsprachiges Panel zur Zugänglichkeit queerer Communitys. Es gibt eine Queer Slam Poetry Show im Theater im Zollhaus und einen «Regenbogenznacht x Open HAZ», an dem Interessierte alles über die Angebote und Projekte von HAZ – Queer Zürich erfahren können. 

Weiter gibt es neben Veranstaltungen zu den Themen Trans und Intergeschlechtlichkeit, Asexualität und Aromantik, für queere Menschen, die eine Behinderung haben, Rassismus erfahren oder deren Eltern in die Schweiz eingewandert sind. In anderen Workshops können Teilnehmer*innen lernen, rassismuskritisch aktiv zu sein oder sich gegen Online-Hass zu wehren.

Infos: Das ganze Programm ist unter www.haz.ch/50-jahre
zu finden, für die meisten Veranstaltungen braucht es eine Online-Anmeldung.

Alles begann mit dem Zabriskie Point

Am 22. März 1972 wurde der älteste noch bestehende, queere Verein der Schweiz gegründet. Unter dem Namen «Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich – Zabriskie Point (HAZ – ZABI)» versammelten sich Menschen, die entschlossen waren, die Lebenssituation von «homosexuellen Männern und Frauen»
zu verbessern. Es gehe darum, sich aus der Ghetto-Kultur zu befreien, in der Homosexuelle zu leben gezwungen sind. Zabriskie Point war ein Treff von Studierenden, gegründet am 12. Mai 1971. Der Name stammte von einem damaligen Kultfilm.

Es gab auch schon vier Arbeitsgruppen:

  • Selbsterfahrung und Gespräche
  • Release: Ein Drop-in für Menschen mit akuten Problemen. Befasst sich mit Problemen wie Erpressung, Überfälle, Diskriminierung, Schwierigkeiten mit der Familie, psychischen Problemen.
  • Aufklärungsarbeit in der Öffentlichkeit
  •  Führung der Diskothek Zabriskie.

Im Laufe der Jahre wurden die «Homosexuellen Arbeitsgruppen» nicht mehr ausgeschrieben, weil die HAZ längst auch für bi und trans Personen und andere Queers eine wichtige Anlaufstelle waren. Seit 2015 tritt der Verein daher unter dem Namen «HAZ – Queer Zürich» auf.

Immer wieder lieferten die HAZ gesellschaftliche und politische Impulse: Von der Abschaffung des polizeilichen «Homo-Registers» bis zum Kampf um die rechtliche Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare.

Die HAZ erfüllten viele Rollen für die Community, daran hat sich bis heute nichts geändert. Ihr Herz sind die Gruppen: Neben Austauschgruppen und Freizeittreffen für Lesben, Bisexuelle, Schwule, trans Personen, für junge Queers, für Queers, die neu in der Schweiz sind, und für alte Queers gibt es auch Arbeits- und Organisationsgruppen, wie etwa das Team Bibliothek, das OK vom «warmen mai» oder die Redaktion des HAZ-Magazins.

Infos auch unter schwulengeschichte.ch


Die Jungs vom Spot 25 anno 1995: Sascha Salm, Jan Brönnimann, Christian Fuster, Lars O und Giovi Caelli.

HAZ– Die Chronologie

1971

12. Mai: ZABRISKIE POINT, Club ZABI, Zürich (bis 2001)

17. November: Erste Homosexuelle Arbeitsgruppen Zürich im Zabriskie Point.

ZABRISKIE RELEASE, Info und Beratungsstelle und Telefon (bis 1984, dann HAZ Beratungstelefon).

1972

Juni: HAZinfo, Mitteilungsblatt, (bis 1976); das Wort SCHWUL erstmals in eigener Publikation in der ersten Ausgabe verwendet.

23. Juni: Rosa von Praunheims Film «Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt» wird von der HAZ zweimal in Zürich gezeigt. Er hat, obwohl aus heutiger Sicht sehr hölzern gespielt und inszeniert, einen gewaltigen Einfluss auf die Entstehung der homosexuellen Emanzipationsbewegungen.

1973

Vortragsreihe zum Thema Homosexualität: «Sexualität und Gesellschaft» an der Uni Zürich mit Günter Amend und Martin Dannecker.

1974

HAZ sendet ein Schreiben nach Bern, in dem gleiches Schutzalter, Abschaffung des Begriffs Verführung und Gleichstellung der männlichen mit der weiblichen Prostitution gefordert wurde. – Trat erst 1992 nach Referendum in Kraft.

1978

24. Juni: Erster CSD («Christopher Street Day») in Zürich: Unterschriftensammlung zur Vernichtung des Homoregisters der Stadt Zürich. Danach Petition zur Abschaffung des Homosexuellen-Registers.

1982

SPOT25 schwule Jugendgruppe ab 1983 im Centro der HAZ, ab 1995 autonome Arbeitsgruppe innerhalb der HAZ (bis 31. Dezember 2004, Auflösung).

Mai: Begegnungszentrum CENTRO der HAZ am Sihlquai 67. Bleibt viele Jahre lang Heimat und Safe Space für Queers.

1984

HAZ Beratungstelefon

1985

5. Januar: AIDS-GRUPPE der HAZ, erste Aids-Hilfegruppe der Schweiz.

SCHWUBLIOTHEK, HAZ-Bibliothek und Bücherausleihe.

24. Juni: CSD GAY PARADE 95 in Zürich mit rund 3000 Männern und Frauen.

Gründung einer HAZ-Gruppe für Männer über 25 Jahren (Vorform der Gruppe «Spätzünder», gegründet 1996)

SCHWULE VÄTER, neue Arbeitsgruppe der HAZ.

1997

19. Juli: CSD Zürich mit Umzug ohne politischen Inhalt, dafür viele Partys. Pink Cross und LOS dazu: So nicht!

2000

Erster WARMER MAI Zürich, das lesbisch-schwule Kulturprogramm.

2002

Mai: BISEXUELLE MÄNNER, eine Gesprächsgruppe der HAZ.

2003

Januar: Schwulenberatung der HAZ mit neuen Beratern: Beratung für schwule & bisexuelle Männer.

2004

Januar: Lesbenberatung (gegründet 1993) beginnt neu im Centro der HAZ.

Februar: HAZ veröffentlicht neu statt dem bisherigen SCHWALL die erweiterte Zürcher gayAgenda in Zusammenarbeit mit der HAB. 

12. Juni: Der erste offen schwule Mann wird zum Präsidenten einer Kantonalpartei gewählt: Martin Naef, SP Zürich.

2006

Ab Januar: Gruppe Spätzünder der HAZ nennt sich neu GAY: MY WAY und versteht sich damit auch als Ort der Hilfe für Leute im Coming-out.

27. April: Die Jahresversammlung der HAZ wählt mit Theres Bachofen die erste Frau zur Präsidentin.

2007

Gründung du bist du, das Beratungsprojekt von HAZ und ZAH.

2014

Neu gibt es eine Trans-Beratung in der HAZ.

Gründung der IG Regenbogenhaus mit Dachverband Regenbogenfamilien, Transgender Network Switzerland und Checkpoint Zürich.